Unmittelbare Verpflichtung Privater zum Datenschutz

Auslegung des Begriffs der „Ausübung ausschließlich persönlicher oder familiärer Tätigkeiten“ als Resultat eines tschechischen Vorabentscheidungsersuchens

Zusammenfassung von Oskar Josef Gstrein

In einer Entscheidung im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens hat die vierte Kammer des EuGH am 11. Dezember 2014 den Begriff der „Ausübung ausschließlich persönlicher oder familiärer Tätigkeiten“ näher definiert. Hieraus ergibt sich auch eine unmittelbare Anwendbarkeit europäischer Datenschutzbestimmungen auf Private. Konkret geht es um die Auslegung der RL 95/46/EG bzw. der in Art. 3 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich vorgesehenen Ausnahme (Rn. 40 ff.).

Hintergrund der Auslegung ist ein tschechischer Sachverhalt aus dem Jahre 2007 (Rn. 13 ff.). Herr Ryneš installierte damals unter dem Dachgesims seines Hauses eine Videokamera. Sein Haus war über einen längeren Zeitraum zum Ziel von mehreren Angriffen durch unbekannte Personen geworden. Es wurden unter anderem mehrfach Fenster mit Gegenständen eingeworfen. Mit der Kamera konnte sowohl der zum Grundstück gehörende als auch der öffentliche Bereich vor dem Haus überwacht werden. Tatsächlich war es auch möglich, die Identität zweier Verdächtiger durch Verwendung und Übergabe der Bilder an die tschechische Polizei festzustellen. Im Verlauf des anschließenden nationalen Strafverfahrens wurde von einer der verdächtigen Parteien schließlich geltend gemacht, dass die Überwachung, insbesondere des öffentlichen Bereiches, unrechtmäßig erfolgt sei.

In der Folge wurde von den zuständigen tschechischen Behörden eine Zuwiderhandlung des Herrn Ryneš im Sinne des Gesetzes Nr. 101/2000 festgestellt. Gegen diese Entscheidung legte Herr Ryneš mehrfach Rechtsmittel ein und es kam schließlich zur Vorlage an den EuGH. Die Schlussanträge des finnischen Generalanwaltes Jääskinen in der Sache ergingen am 10. Juli 2014. Die Richter erkannten, dass die Verwendung der Kamera und die Überwachung des öffentlichen Bereiches nicht als eine „Ausübung ausschließlich persönlicher oder familiärer Tätigkeit“ betrachtet werden könne. Daraus ergibt sich, dass die Überwachung (insbesondere des öffentlichen Bereiches) unrechtmäßig erfolgt ist.

Die Richter führen in ihrem Urteil aus (Rn. 27 ff.):

27      Wie sich aus Art. 1 und dem zehnten Erwägungsgrund der Richtlinie 95/46 ergibt, zielt diese darauf ab, ein hohes Niveau des Schutzes der Grundfreiheiten und Grundrechte natürlicher Personen, insbesondere ihrer Privatsphäre, bei der Verarbeitung personenbezogener Daten zu gewährleisten (vgl. Urteil Google Spain und Google, C‑131/12, EU:C:2014:317, Rn. 66).

28      Nach ständiger Rechtsprechung verlangt der Schutz des in Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union garantierten Grundrechts auf Privatleben, dass sich die Ausnahmen und Einschränkungen in Bezug auf den Schutz der personenbezogenen Daten auf das absolut Notwendige beschränken müssen (vgl. Urteile IPI, C‑473/12, EU:C:2013:715, Rn. 39, und Digital Rights Ireland u. a., C‑293/12 und C‑594/12, EU:C:2014:238, Rn. 52).

29      Da die Bestimmungen der Richtlinie 95/46, soweit sie Verarbeitungen personenbezogener Daten betreffen, die zu Beeinträchtigungen der Grundfreiheiten und insbesondere des Rechts auf Achtung des Privatlebens führen können, im Licht der Grundrechte auszulegen sind, die in der Charta verankert sind (vgl. Urteil Google Spain und Google, EU:C:2014:317, Rn. 68), ist die in Art. 3 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich dieser Richtlinie vorgesehene Ausnahme eng auszulegen.

30      Eine solche enge Auslegung findet auch im Wortlaut dieser Bestimmung selbst eine Stütze, der vom Anwendungsbereich der Richtlinie 95/46 die Datenverarbeitung ausnimmt, die zur Ausübung von Tätigkeiten vorgenommen wird, bei denen es nicht ausreicht, dass sie persönlicher oder familiärer Art sind, sondern sie müssen „ausschließlich“ persönlicher oder familiärer Art sein.

31      Nach alledem ist in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Generalanwalts in Nr. 53 seiner Schlussanträge festzustellen, dass eine Verarbeitung personenbezogener Daten nur dann unter die Ausnahme in Art. 3 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 95/46 fällt, wenn sie in der ausschließlich persönlichen oder familiären Sphäre desjenigen vorgenommen wird, der die Daten verarbeitet.
[…]

33      Soweit sich eine Videoüberwachung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende auch nur teilweise auf den öffentlichen Raum erstreckt und dadurch auf einen Bereich außerhalb der privaten Sphäre desjenigen gerichtet ist, der die Daten auf diese Weise verarbeitet, kann sie nicht als eine ausschließlich „persönliche oder familiäre“ Tätigkeit im Sinne von Art. 3 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 95/46 angesehen werden.

34      Zugleich ermöglicht die Anwendung der Bestimmungen der Richtlinie 95/46, gegebenenfalls die berechtigten Interessen des für die Verarbeitung Verantwortlichen insbesondere auf der Grundlage von Art. 7 Buchst. f, Art. 11 Abs. 2 und Art. 13 Abs. 1 Buchst. d und g dieser Richtlinie zu berücksichtigen, worunter u. a. – wie im Ausgangsverfahren – der Schutz des Eigentums, der Gesundheit und des Lebens des für die Verarbeitung Verantwortlichen und seiner Familie fällt.

Die Erstreckung von Verpflichtungen zum Datenschutz auf Private ist Gegenstand einer breit angelegten Diskussion. Erst kürzlich hat sich der Kommissar für Menschenrechte des Europarates in einem Grundsatzpapier zum Thema „The rule of law on the Internet and in the wider digital world“ auch zu diesem spannenden Themenbereich geäußert (S. 23 f, 36ff, 63ff, 85ff.).