Ausschluss russischer Fußballteams von internationalen Wettkämpfen – Legitimität und Rechtsschutzmöglichkeiten

11.05.2022

Ein Beitrag von Jascha Groß*

Die gegenwärtige völkerrechtswidrige Invasion Russlands in der Ukraine[1] hat zahlreiche Akteure des internationalen Sports zum Handeln veranlasst.

Allen voran das Internationale Olympische Komitee (IOC)[2], das wenige Tage nach Beginn der Invasion allen internationalen Sportorganisationen empfahl, wenn möglich russische und belarussische SportlerInnen und Offizielle von allen internationalen Wettkämpfen auszuschließen, u.a. um die Sicherheit und Integrität globaler Sportveranstaltungen sicherzustellen. Insofern erfüllt das IOC seine wesentliche Funktion, den Glauben des Zuschauers „an die moralische Integrität der olympischen Idee“[3] sicherzustellen.

Zahlreiche internationale Dachverbände kamen der Empfehlung des IOC nach und schlossen russische Teams und SportlerInnen gezielt von internationalen Sportereignissen aus bzw. suspendierten russische Dachverbände.[4] Dabei wird, sozusagen als Kollateralschaden, in Kauf genommen, dass russische BerufssportlerInnen an ihrer Berufsausübung gehindert werden, was mit der potentiellen Verringerung ihrer Einkommenschancen, ihres Marktwerts und ihrer Reputation einhergeht.

Wohl auch im Hinblick auf die bevorstehende Fußball-WM in Katar hat der Ausschluss russischer Teams von allen FIFA und UEFA Wettbewerben[5] besondere Aufmerksamkeit erfahren. Hierzu liegt bereits ein Beschluss[6] des Court of Arbitration for Sport (CAS) vor, der den Antrag des russischen Fußballverbandes Football Union of Russia (FUR) auf Aussetzung der Vollstreckung des FIFA Beschlusses in einem vorläufigen Verfahren abgelehnt hat. Am Beispiel der FIFA zeigt der Beitrag die (satzungs-)rechtlichen Probleme eines solchen Ausschlusses auf, die sich auch bei gleichartigen Maßnahmen anderer Sportverbände stellen. Weiterhin wird dargelegt, welche Rechtsschutzmöglichkeiten für betroffene Verbände/SportlerInnen über den CAS hinaus bestehen.

Rechtsgrundlage für den Ausschluss der FUR

Die Besonderheit der Wettkampfausschlüsse besteht darin, dass (anders als bei Dopingverstößen) nicht an individuelles Fehlverhalten des Sportverbandes oder eines Individuums angeknüpft wird, sondern an das völkerrechtswidrige Verhalten seines Heimatstaates. Andrew Parsons, Präsident des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC), sieht die SportlerInnen als Opfer des Verhaltens ihrer eigenen Regierungen („You are victims of your governments´ actions“[7]). Der einzelne Sportverband bzw. der/die einzelne SportlerIn kann sich also auch durch rechtmäßiges Verhalten einem Ausschluss nicht entziehen und ist daher auf effektiven Rechtsschutz angewiesen.

Sofern innerverbandliche Streitbeilegungsmechanismen ausgeschöpft wurden, kann gegen Maßnahmen des internationalen Dachverbands Beschwerde beim CAS eingelegt werden, Art. R47 Abs. 1 CAS-Code[8]. Der ordentliche Rechtsweg ist insoweit ausgeschlossen (siehe etwa Art. 58 FIFA-Statut[9]).

Prüfmaßstab für Maßnahmen der Verbände ist primär das jeweilige Verbandsrecht sowie hilfsweise das Schweizer Recht, Art. 58 CAS-Code.[10] Der Begründungsaufwand der Verbände für die Legitimität ihres Handelns hängt somit davon ab, ob die einschlägigen Statuten taugliche Anknüpfungspunkte für die gegenwärtigen Ausschlüsse bereithalten. 

Die FIFA stützt den Ausschluss russischer Teams von allen Wettbewerben auf Art. 34 und 38 ihres Statuts.[11] Nach diesen Vorschriften ist der Rat für alle FIFA-Belange zuständig, „die gemäss diesen Statuten nicht in die Zuständigkeit eines anderen Organs fallen“ (Art. 34 (12)).

Daneben sehen die „Regulations FIFA World Cup 2022“[12] in Art. 31 vor, dass Fälle von „force majeure“, also höherer Gewalt, durch die FIFA beschieden werden. Laut FIFA ist die russische Invasion ein solcher Fall höherer Gewalt.[13] Dabei betont die FIFA ausdrücklich, dass es sich bei ihrer Entscheidung nicht um eine Suspendierung der FUR i.S.d. Art. 16 ihres Statuts handelt, sondern lediglich um den Ausschluss russischer Teams.[14]

Tatsächlich wird die FUR jedoch an der Ausübung ihrer Mitgliedschaftsrechte (insb. die Teilnahme an Sportveranstaltungen gem. Art. 13 (1) lit. e FIFA-Statut) gehindert, sodass die Rechtsfolge einer Suspendierung i.S.d. Art. 16 (3) FIFA-Statut jedenfalls praktisch am Ende doch eintritt. Die FIFA vertritt dabei die Auffassung, dass ihr Beschluss aufgrund des fehlenden Sanktionscharakters nicht anhand des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, des Grundsatzes der Gleichbehandlung und des Grundsatzes des venire contra factum proprium überprüft werden könne und die FUR auch keinen Anspruch auf rechtliches Gehör habe.[15] Insofern wird eine entscheidende Frage in der Hauptsache sein, ob die Ausschlüsse eine Sanktion darstellen oder lediglich eine legitime Reaktion auf einen Fall höherer Gewalt, die der FIFA keine andere Möglichkeit ließ, als die FUR von Wettkämpfen auszuschließen.

Nimmt man jedoch eine Suspendierung an, müsste gem. Art. 16 (1) FIFA-Statut eine schwere Verletzung der Mitgliedschaftsrechte durch einen Mitgliedsverband vorliegen. Eine solche liegt offensichtlich nicht vor. Die Aggression wurde von Russland initiiert und nicht durch den russischen Fußballverband. Art. 16 FIFA-Statut hat die Überschrift „Suspension“ bzw. „Suspendierung“, weshalb davon ausgegangen werden kann, dass diesbezüglich eine abschließende Regelung getroffen werden sollte. Kann unter diesem Umstand eine Suspendierung unter Umgehung ihrer materiellen Voraussetzungen trotzdem faktisch herbeigeführt werden?

Als Rechtsgrundlage werden weiterhin allgemeine Zielbestimmungen und Selbstverpflichtungen herangezogen.[16] Die FIFA bekennt sich zur Einhaltung aller international anerkannten Menschenrechte und setzt sich für deren Schutz ein. Dabei bezieht sie sich ausdrücklich u.a. auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und auf die die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (Nr. 2 der FIFA´s Human Rights Policy[17]).

Es darf aber nicht verkannt werden, dass die Selbstverpflichtung laut FIFA nur „im Rahmen ihrer Tätigkeiten“ bzw. „Geschäftsbeziehungen“ (Nr. 3 der Human Rights Policy) wirkt. Zudem verpflichtet sie sich in Nr. 6, „bei negativen Auswirkungen auf die Menschenrechte, die sie verursacht hat oder zu denen sie beigetragen hat, Wiedergutmachung zu leisten (…)“.  Die erste Säule des FIFA-Menschenrechtsmodells (Nr. 8 der Human Rights Policy) sieht folgendes vor: „Die FIFA bekennt sich öffentlich zu ihren Menschenrechtspflichten und ergreift Maßnahmen, um das Gebot der Einhaltung der Menschenrechte in ihren Organen und ihrer Administration sowie bei den Mitgliedsverbänden zu verankern.“ Sofern sich die FIFA in Nr. 3 der Human Rights Policy vorbehält, ihren Einfluss geltend zu machen, um die Achtung der Menschenrechte zu sichern, setzt dies stets einen „Zusammenhang mit negativen Auswirkungen auf die Menschenrechte aufgrund ihrer Geschäftsbeziehungen“ voraus.

Im Falle der Völkerrechtsverletzungen Russlands müsste dargelegt werden, inwiefern durch die Invasion in die Ukraine die Selbstverpflichtung der FIFA aktiviert wird. Die russische Invasion erfolgt nämlich gerade nicht im Rahmen der Tätigkeiten der FIFA.

Nach dem Gesagten erscheint zumindest fraglich, ob das Statut und die Human Rights Policy der FIFA eine ähnliche Rolle wie ein souveräner Staat zuweisen, in der sie Menschenrechtsverletzungen anderer Staaten sanktioniert. Sie scheint vielmehr ausdrücklich darum bemüht zu sein, Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit von ihr organisierten Fußballereignissen zu unterbinden. Eine Selbstverpflichtung der FIFA, auf die Einhaltung von Menschenrechten durch Dritte hinzuwirken, ist weder dem Statut noch der Human Rights Policy zu entnehmen.

Als weiterer möglicher Anknüpfungspunkt für die Ausschlüsse kommt in Betracht, dass die FUR den Staat Russland repräsentiert und sich daher dessen völkerrechtswidriges Verhalten zurechnen lassen muss mit der Folge, auch tauglicher Sanktionsadressat sein zu können.[18] Aber wen repräsentiert die FUR eigentlich tatsächlich? Das Statut der FUR[19] sieht bzgl. der Repräsentation nach außen folgendes vor: Gem. Art. 4 Nr. 9 ist es das Ziel der FUR, die Stellung des russischen Fußballs auf der internationalen Bühne zu stärken und internationale Fußballverbindungen aufzubauen. Art. 4 Nr. 16 sieht die Vertretung der Interessen des russischen Fußballs in der internationalen Sport- und Olympiabewegung vor. Die (politische) Repräsentation Russlands als Staat ist hingegen nicht Zweck der FUR.

Das Repräsentationsargument bedarf somit der besonderen Begründung, inwiefern die FUR das politische Russland in einer solchen Weise repräsentiert, dass sie sich für dessen politisches Verhalten verantworten müsste.

Rechtsmittel außerhalb des lex sportiva

Gegen die Entscheidung des CAS kann gem. Art. 77 des Schweizer Bundesgesetzes über das Bundesgericht (BGG) unter den Voraussetzungen des Art. 190-192 des Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht (IPRG) Beschwerde beim Schweizerischen Bundesgericht eingelegt werden.

Sofern der Ausschluss russischer Teams wie von der FUR vorgebracht ohne vorherige Anhörung erfolgte[20], könnte diese sich auf Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs berufen (Art. 190 Abs. 2 lit. d IPRG). Ebenso steht eine Verletzung des schweizerischen ordre public (Art. 190 Abs. 2 lit. e IPRG) im Raum. Dieser umfasst u.a. den Grundsatz der Vertragstreue, das Verbot des Rechtsmissbrauchs sowie das Diskriminierungsverbot.[21]

Gem. Nr. 5 der Human Rights Policy schafft die FIFA bei all ihren Tätigkeiten ein diskriminierungsfreies Umfeld. Art. 4 (1) des FIFA-Statuts verbietet den Mitgliedern ausdrücklich und ohne Ausnahme die Diskriminierung eines Landes oder einer Person(engruppe) u.a. aufgrund der nationalen Herkunft. Aus Sicht der SportlerInnen ist der einzige Grund für ihren Ausschluss die russische Staatsbürgerschaft bzw. die daran gekoppelte Mitgliedschaft im russischen Dachverband.[22] Fraglich ist weiterhin, ob die Ausschlüsse, trotz gegenteiliger Beteuerungen der FIFA[23], mit dem statuarischen Grundsatz der politischen Neutralität (Art. 4 II FIFA-Statut) vereinbar sind.[24]

Mit der Entscheidung des Schweizerischen Bundesgerichts wäre der innerstaatliche Rechtsweg erschöpft. Welche Möglichkeiten bestünden sodann, die FIFA in Anspruch zu nehmen?

Als internationales Unternehmen[25] ist die FIFA nicht unmittelbar an Menschenrechte gebunden.[26] Menschenrechtsabkommen verpflichten nur die Vertragsparteien bzw. Staaten unmittelbar. Soft-Law-Instrumente wie bspw. die OECD-Leitsätze begründen aufgrund ihres Empfehlungscharakters ebenfalls keine unmittelbar durchsetzbaren Rechte für Betroffene. Ebenso fehlt es im Falle internationaler Unternehmen an einem Mechanismus wie jenem des Römischen Statuts des IStGH, durch den Individuen bei Völkerrechtsverletzungen unmittelbar in Anspruch genommen werden können.[27] Versuche auf UN-Ebene, internationale Unternehmen vertraglich an Menschenrechte zu binden, sind bislang gescheitert.[28]

Individualbeschwerde beim EGMR

Letztlich bleibt betroffenen Verbänden und SportlerInnen bei der Geltendmachung ihrer Rechte nur, an die responsibility to protect[29] des Heimatstaates der letzten Instanz anzuknüpfen. Hebt das Schweizerische Bundesgericht das CAS Urteil nicht auf und macht sich die Schweiz somit eventuelle Menschenrechtsverletzungen des CAS zu eigen, könnten Betroffene Individualbeschwerde beim EGMR gegen die Schweiz einlegen.[30]

Dass Russland am 16.03.2022 aus dem Europarat ausgeschlossen wurde[31] mit der Folge, dass es gem. Art. 58 Abs. 3 EMRK ab dem 16.09.2022 auch nicht mehr an die EMRK gebunden ist,[32] hindert russische Sportverbände und SportlerInnen nicht, als nunmehr Drittstaatsangehörige Individualbeschwerden gegen die Schweiz einzulegen. Maßgeblich ist allein, ob eine Verletzung der Rechte aus der EMRK durch einen Konventionsstaat gegeben ist, Art. 34 S. 1 EMRK.

Verletzung von Art. 6 I EMRK

Vor dem EGMR könnte sowohl die FUR als auch betroffene FußballerInnen die Verletzung von Verfahrensgarantien aus Art. 6 I EMRK geltend machen. Sportverbände und BerufssportlerInnen sind Privatpersonen, die um ihre Rechte und Pflichten aus den jeweiligen Statuten streiten, sodass eine zivilrechtliche Streitigkeit i.S.d. Art. 6 I EMRK vorliegt.[33]

Der CAS wurde in seiner konkreten Zusammensetzung im Fall Pechstein vom EGMR als ein auf Gesetz beruhendes, unabhängiges und unparteiliches Gericht i.S.d. Art. 6 I EMRK anerkannt.[34] Allerdings lag ein Verstoß gegen das Gebot der Öffentlichkeit der Verhandlung gem. Art. 6 I EMRK vor, weil die Verhandlung vor dem CAS über die Dopingsperre von Frau Pechstein nicht öffentlich erfolgte, was im konkreten Fall jedoch erforderlich gewesen wäre.[35]

Hat im Falle der FUR tatsächlich keine Anhörung stattgefunden und wird eine solche nicht nachgeholt, wäre zu prüfen, ob besondere Umstände vorliegen, welche die Interessen der Rechtspflege beeinträchtigen könnten und dadurch die Nichtöffentlichkeit der Verhandlung gerechtfertigt wäre (Art. 6 I S. 2 EMRK). Die hohe Relevanz des Ausschlusses russischer Fußballteams für zahlreiche gleich gelagerte Fälle und den internationalen Sport im Allgemeinen lassen eine Kontrolle durch die Öffentlichkeit in Form einer öffentlichen Verhandlung allerdings notwendig erscheinen.[36]

Verletzung von Art. 8 I EMRK

Ferner könnten betroffene russische ProfifußballerInnen rügen, durch die Wettkampfausschlüsse in ihren Rechten aus Art. 8 I EMRK verletzt zu sein. Das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens wirkt in seiner Schutzdimension auch in die berufliche Tätigkeit hinein. U.a. umfasst Art. 8 I EMRK das Recht, soziale Beziehungen in einem beruflichen Umfeld herzustellen und zu pflegen.[37] Wird russischen BerufssportlerInnen verwehrt, an internationalen Wettkämpfen teilzunehmen, ist es ihnen nicht mehr möglich, in diesem Rahmen soziale Beziehungen etwa mit anderen SportlerInnen, Veranstaltern oder Sponsoren aufzubauen mit der Folge, dass ihr Privatleben i.S.d. Art. 8 I EMRK beeinträchtigt ist.  

Ein Eingriff in das Privatleben kann zudem dadurch begründet werden, dass SportlerInnen wegen der Ausschlüsse Einnahmeverluste erleiden und sich ihre Reputation verschlechtert. Diese Faktoren sind maßgeblich für die Gestaltung des Privatlebens und geeignet, den „inner circle“[38], z.B. das familiäre Umfeld, negativ zu beeinträchtigen.

Unterlässt die Schweiz es, diesen Eingriff durch die FIFA bzw. den CAS in das Privatleben der Sportler zu unterbinden und verletzt sie dadurch ihre positive Pflicht, die Einhaltung der Rechte aus der EMRK auch durch Private sicherzustellen[39], ist im nächsten Schritt zu prüfen, ob der Eingriff in das Privatleben der SportlerInnen i.S.d. Art. 8 II EMRK gerechtfertigt ist.

Hierzu müsste der Eingriff dem Schutz einer der in Art. 8 II EMRK genannten Zwecke dienen. In Betracht kommt die öffentliche Sicherheit, der Schutz der Moral sowie die Rechte anderer Personen. Die Schweiz könnte anführen, der Ausschluss russischer Teams diene der internationalen Sicherheit, indem Druck auf die russische Regierung ausgeübt wird. Rekurrieren ließe sich weiterhin auf die Sicherheit aller TeilnehmerInnen internationaler Sportveranstaltungen, weil die Teilnahme russischer SportlerInnen Anlass für gewaltsame Proteste geben könnte.[40] Sofern sich die Schweiz auf die moralische Integrität des Sports beruft, wurde dieses Ziel durch den EGMR im Falle von einschränkenden Anti-Doping Maßnahmen bereits als legitim anerkannt.[41]

Sodann wäre darzulegen, ob der Eingriff in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist. Maßgeblich ist dabei, dass der Eingriff nicht außer Verhältnis zum verfolgten Ziel steht und einem dringenden sozialen Bedürfnis entspricht, wobei die Schweiz hierbei einen gewissen Ermessensspielraum hätte.[42] Sie müsste glaubhaft vortragen, weshalb die sichere Durchführung von internationalen Sportveranstaltungen im Falle der Teilnahme russischer Teams nicht mehr gewährleistet werden könnte. Hierzu sei angemerkt, dass die FIFA bereits vor der russischen Invasion z.B. umfassende Maßnahmen vorsah, um sogar Terroranschläge im Zusammenhang mit Fußballspielen zu verhindern.[43]

Bei der Abwägung berücksichtigt der EGMR weiterhin, inwieweit innerhalb der Konventionsstaaten Einigkeit über die Ausschlüsse russischer Teams besteht.[44] Die breit angelegte Sanktionspraxis der EU gegen Russland weist auf einen Konsens innerhalb der meisten Konventionsstaaten hin.[45] Bzgl. des Schutzes der moralischen Integrität des Sports wird zu berücksichtigen sein, dass die FUR dieses Argument ebenfalls anführen könnte mit dem Hinweis, der Ausschluss russischer SportlerInnen verstoße gegen grundlegende Prinzipien des FIFA-Statuts (s.o.) und schade so dem Ansehen des internationalen Sports.

Auf Seiten der russischen SportlerInnen lassen sich weiterhin Einnahmeverluste und der durch die starke Einschränkung der Berufsausübung bedingte teilweise Entzug der (sozialen) Lebensgrundlage anführen.

Verletzung von Art. 11 I EMRK

Als privatrechtlicher, freiwilliger und auf ein gemeinsames Ziel gerichteter Zusammenschluss sind sowohl die FUR als auch die FIFA Vereinigungen i.s.v. Art. 11 EMRK.[46]

Infolgedessen ist die FIFA im Rahmen ihrer aus der Vereinigungsfreiheit gem. Art. 11 I EMRK resultierenden Verbandsautonomie befugt, eigene Regeln zu erlassen und ihre Angelegenheiten selbst zu verwalten. Sie ist in die Lage, Mitgliedsverbände auszuschließen oder zu sanktionieren.[47] Diese Autonomie gewährleistet die EMRK jedoch nicht grenzenlos (s.a. Art. 11 Abs. 2 EMRK). So hat bereits die ehemalige Europäische Kommission für Menschenrechte klargestellt, dass der autonomen Selbstverwaltung privater Vereinigungen dort Grenzen gesetzt sind, wo ein Mitgliedsausschluss gegen die Satzung verstößt, willkürlich ist oder eine besondere Härte für das ausgeschlossene Mitglied darstellt. Den Konventionsstaaten wurde diesbezüglich ausdrücklich die Pflicht auferlegt, die Einhaltung der genannten Kriterien durch private Vereinigungen sicherzustellen.[48]

Zwar betraf der Fall den Ausschluss einer natürlichen Person aus einem Verein. Rechtlich besteht freilich kein Unterschied, ob ein Verein ein Mitglied ausschließt oder ob ein Dachverband einen Mitgliedsverband ausschließt.[49]

Im Falle der FUR wird der EGMR insbesondere zu prüfen haben, ob deren faktischer Ausschluss mit dem FIFA-Statut vereinbar ist (s.o.) und unabhängig davon, ob die Maßnahme eine besondere Härte für die FUR darstellt. Die Schweiz müsste sodann darlegen, ob sie ihren konventionsrechtlichen Schutzpflichten nachgekommen ist, insbesondere ob sie effektiven gerichtlichen Rechtsschutz bereitgestellt hat.[50] Insoweit überschneidet sich das Recht, Mitglied in einer Vereinigung bleiben zu können, mit dem Recht auf ein faires Verfahren für den Fall eines Ausschlusses.

Verletzung von Art. 14 EMRK

Ist der Anwendungsbereich von Art. 6, Art. 8 oder Art. 11 EMRK eröffnet, kommt zudem eine Verletzung von Art. 14 EMRK in Betracht.

Ob eine unzulässige Diskriminierung i.S.d. Art. 14 EMRK vorliegt, bestimmt sich danach, ob Betroffene in einer vergleichbaren Situation ungleich behandelt bzw. in unterschiedlichen Situationen gleich behandelt wurden. Die (Un)Gleichbehandlung muss auf einer der in Art. 14 EMRK genannten Gründe beruhen, wobei die Liste nicht abschließend ist.[51]

Die FUR und russische SportlerInnen unterscheiden sich bis auf ihre Nationalität nicht von Sportverbänden bzw. SportlerInnen anderer Nationen. Zwar liegt insofern ein Unterscheid vor, als dass die Regierung Russlands einen Angriffskrieg führt. Dies ändert aber nichts an der Gleichartigkeit von Sportverbänden/SportlerInnen unterschiedlicher Nationen. Indem nur russische Akteure von Wettkämpfen ausgeschlossen werden, liegt auch eine Ungleichbehandlung vor. Sie erfolgt auf Grund ihrer nationalen Herkunft und erfüllt daher den Tatbestand des Art. 14 EMRK.

Die Anforderungen an die Rechtfertigung einer solchen Diskriminierung entsprechen im Wesentlichen denen von Artikel 8 II EMRK (s.o.). Liegt wie hier eine Diskriminierung aufgrund der nationalen Herkunft vor, bedarf es laut EGMR allerdings eines besonders gewichtigen Rechtfertigungsgrundes.[52] Daher erscheint zumindest im Hinblick auf moralische Integrität des Sports fraglich, ob hierin noch ein legitimer Zweck zu sehen ist.

Fazit

Gegenwärtig handeln die Sportverbände faktisch auf der Ebene der internationalen Staatengemeinschaft; als internationale Unternehmen sind sie jedoch vom völkerrechtlichen Sanktionsregime in dem Sinne entkoppelt, als dass Völkerrecht ihnen keine autonome Initiierung von Sanktionen zuspricht.[53] Die Rechtsgrundlage für ihr Handeln findet sich nämlich nicht beispielsweise im Völkergewohnheitsrecht, sondern in ihren Statuten. Ob diese im Falle der Maßnahmen gegen russische Akteure des Sports ausreichend berücksichtigt wurden, werden künftig zunächst der CAS, dann das Schweizerische Bundesgericht und letztendlich der EGMR zu entscheiden haben.

*Jascha Groß ist studentische Hilfskraft am Lehrstuhl für Europarecht, Völkerrecht und öffentliches Recht von Prof. Dr. Thomas Giegerich LL.M.


[1] Siehe Thomas Giegerich, Die Fundamente der heutigen Völkerrechtsordnung – Eine Bekräftigung anlässlich des Ukraine-Kriegs, Jean-Monnet-Saar, 03/22; abrufbar unter https://jean-monnet-saar.eu/wp-content/uploads/2022/03/Ukraine-Krieg.pdf (01.05.2022).

[2] Stellungnahme vom 28.02.2022, abrufbar unter https://olympics.com/ioc/news/ioc-eb-recommends-no-participation-of-russian-and-belarusian-athletes-and-officials (01.05.2022).

[3] Eike Emrich, Christian Pierdzioch & Werner Pitsch (2014), Die „Marke“ Olympia und die besondere Bedeutung von Vertrauenskriterien – Eine Geschichte von Markt, Macht und Moral, Diskussionspapier des Europäischen Instituts für Sozioökonomie e.V., S. 20,  abrufbar unter  https://publikationen.sulb.uni-saarland.de/bitstream/20.500.11880/23503/1/EIS_Workingpaper_11_2014.pdf (01.05.2022).

[4] Ein Überblick über die Maßnahmen der einzelnen Verbände findet sich unter https://www.playthegame.org/news/comments/2022/1027_most-olympic-federations-suspend-russian-athletes-but-officials-go-free/ (01.05.2022); s.a. Daniele Heerdt & Guido Battaglia, Reactions of International Sport Organisations to the Russian Invasion of Ukraine: An Overview, Asser International Sports Law Blog, 01.04.2022, abrufbar unter https://www.asser.nl/SportsLaw/Blog/ (01.05.2022).

[5] Pressemitteilung vom 28.02.2022, abrufbar unter https://www.fifa.com/tournaments/mens/worldcup/qatar2022/media-releases/fifa-uefa-suspend-russian-clubs-and-national-teams-from-all-competitions (01.05.2022).

[6] CAS 2022/A/8708, abrufbar unter https://www.tas-cas.org/fileadmin/user_upload/8708_Reasoned_OPM__publication_.pdf (01.05.2022); aktuell sind mindestens zehn Verfahren im Zusammenhang mit Beschwerden russischer Sportverbände und SportlerInnen beim CAS anhängig, siehe https://www.tas-cas.org/fileadmin/user_upload/CAS_Media_Release_05.04.22_Russian_appeals.pdf (03.05.2022).

[7] Pressemitteilung vom 03.03.2022, abrufbar unter https://www.paralympic.org/news/ipc-decline-athlete-entries-rpc-and-npc-belarus-beijing-2022 (01.05.2022).

[8] Abrufbar unter https://www.tas-cas.org/en/arbitration/code-procedural-rules.html (01.05.2022).

[9] Abrufbar unter https://digitalhub.fifa.com/m/d5421a0dac6ceba/original/FIFA-Statuten-2021.pdf (01.05.2022).

[10] Shubham Jain, Legal Justification for FIFA und UEFA` Ban on Russian National Football and Club Teams, EJIL Talk, 14.04.2022.

[11] CAS 2022/A/8708, Rn. 55.

[12] Abrufbar unter https://digitalhub.fifa.com/m/517ef2ad2bc3665e/original/ytkbpnxyvcghx6bebesv-pdf.pdf (01.05.2022).

[13] CAS 2022/A/8708, Rn. 55.

[14] CAS 2022/A/8708, Rn. 58; es sei angemerkt, dass Maßnahmen gegenüber einzelnen Teams im FIFA-Statut keine ausdrückliche Erwähnung finden.

[15] CAS 2022/A/8708, Rn. 61.

[16] Shubham Jain, EJIL Talk, 14.04.2022; Carmen Pérez, Ahead of the game? Sporting sanctions against Russia following the invasion of Ukraine, EJIL Talk, 09.03.2022; Christian J. Tams im Sportschau-Interview vom 14.03.2022, abrufbar unter https://www.sportschau.de/mehr-sport/russland-krieg-ukraine-sport-voelkerrecht-christian-tams-interview-100.html (01.05.2022).

[17] Abrufbar unter https://digitalhub.fifa.com/m/1a876c66a3f0498d/original/kr05dqyhwr1uhqy2lh6r-pdf.pdf (01.05.2022).

[18] Martin Stopper, Sanktionen wegen des Angriffskriegs gegen die Ukraine, Welche Verantwortung tragen die Sportverbände?, LTO, 17.03.2022; Thomas Funck & Niko Haug, FIFA und UEFA suspendieren russische Teams, Noch ist der Ausschluss nicht rechtssicher, LTO, 03.03.2022.

[19] Abrufbar unter https://static.rfs.ru/documents/1/5d1cbe0b54c90.pdf (01.05.2022), eigene Übersetzung.

[20] CAS 2022/A/8708, Rn. 43.

[21] Urteil des Schweizer Bundesgerichts vom 05.11.1991, BGE 117 II, 604 S. 606.

[22] Das Diskriminierungsverbot wird umgekehrt auch zu Gunsten der Sportverbände angeführt, siehe Thorsten Poppe, Ausschluss Russlands: Verstoß gegen internationales Sportrecht? Sportschau, 04.03.2022, abrufbar unter https://www.sportschau.de/mehr-sport/ausschluss-russlands-verstoss-gegen-das-internationale-sportrecht-100.html (01.05.2022); Shubham Jain, EJIL Talk, 14.04.2022.

[23] CAS 2022/A/8708, 59.

[24] CAS 2022/A/8708, 41; ausführlich hierzu Johan Lindholm, How Russia´s invasion of Ukraine shook sports´ foundation, The International Sports Law Journal (22:1-4), abrufbar unter https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/s40318-022-00211-8.pdf (01.05.2022).

[25] Die OECD stufte die FIFA in der Vergangenheit als solches ein, siehe https://mneguidelines.oecd.org/database/instances/allegedhumanrightsviolationsofmigrantworkersinqatar.htm (01.05.2022).

[26] Matthias Herdegen, Völkerrecht, 2021, 20. Aufl., 2021, § 13, Rn. 6.

[27] Ausführlich zur Thematik Clara Schindowski, Sind transnationale Unternehmen verpflichtet, internationale Menschenrechte zu beachten?, Studentische Zeitschrift für Rechtswissenschaft Heidelberg, 1/2019.

[28] Die „Norms on the Responsibilities of Transnational Corporations and Other Business Enterprises with regard to Human Rights“, entworfen von der UN-Menschenrechtskommission, sahen zwar eine unmittelbare Bindung transnationaler Unternehmen an die international anerkannten Menschenrechte vor, konnten aber nie, etwa durch ein internationales Abkommen, Verbindlichkeit erlangen, s.a. Markus Krajewski, Die Menschenrechtsbindung transnationaler Unternehmen, MenschenRechtsMagazin, 1/2012, S. 66-80, 71 ff.

[29] Siehe Kommentar zu Prinzip 1 der UN Guiding Principles des Human Rights Council, abrufbar unter https://www.ohchr.org/sites/default/files/documents/publications/guidingprinciplesbusinesshr_en.pdf (01.05.2022).

[30] EGMR, Nr. 40575/10 und 67474/10, Mutu and Pechstein v. Switzerland, Urteil vom 02.10.2018, Rn. 64.

[31] CM/Res(2022)2.

[32] Resolution of the European Court of Human Rights on the consequences of the cessation of membership of the Russian Federation to the Council of Europe in light of Article 58 of the European Convention on Human Rights of 22 March 2022.

[33] https://www.echr.coe.int/documents/guide_art_6_eng.pdf (03.05.2022), S. 13.

[34] EGMR, Nr. 40575/10 und 67474/10, Mutu and Pechstein v. Switzerland, Urteil vom 02.10.2018, Rn. 150 ff.

[35] Ebd., Rn. 183.

[36] S.a. EGMR, Nr. 32075/09, Lorenzetti c. Italie, Urteil vom 10.04.2012, Rn. 32.

[37] EGMR, Nr. 21794/93, C. v. Belgium, Urteil vom 07.08.1996, Rn. 25.

[38] EGMR, Nr. 21722/11, Oleksandr Volkov v. Ukraine, Urteil vom 09.01.2013, Rn. 166.

[39] Siehe EGMR, Nr. 61496/08, Bărbulescu v. Romania, Urteil vom 05.09.2017, Rn. 52 ff.

[40] In diese Richtung argumentiert auch das IOC, https://olympics.com/ioc/news/ioc-eb-recommends-no-participation-of-russian-and-belarusian-athletes-and-officials (02.05.2022).

[41] EGMR, Nr. 48151/11 und 77769/13, FNASS and others v. France, Urteil vom 18.01.2018, Rn. 166.

[42] https://www.echr.coe.int/documents/guide_art_8_eng.pdf (03.05.2022), S. 13.

[43] Siehe Annexe B der FIFA Stadium Safety and Security Regulations, abrufbar unter https://digitalhub.fifa.com/m/682f5864d03a756b/original/xycg4m3h1r1zudk7rnkb-pdf.pdf (04.05.2022).

[44] EGMR, Nr. 44362/04, Dickson v. The United Kingdom, Urteil vom 04.07.2007, Rn. 41.

[45] Siehe https://ec.europa.eu/info/strategy/priorities-2019-2024/stronger-europe-world/eu-solidarity-ukraine/eu-sanctions-against-russia-following-invasion-ukraine_de (04.05.2022).

[46] https://www.echr.coe.int/Documents/Guide_Art_11_ENG.pdf (09.05.2022), S. 24.

[47] So unlängst EGMR, Nr. 31163/13, Vlahov v. Croatia, Urteil vom 05.05.2022, Rn. 52 f.; s.a. https://www.echr.coe.int/Documents/Guide_Art_11_ENG.pdf (09.05.2022, S. 26.

[48] Ehemalige Europäische Kommission für Menschenrechte, Nr. 10550/83, Entscheidung vom 13.05.1985, S. 186, abrufbar unter https://www.osce.org/files/f/documents/8/b/18045.pdf (09.05.2022); der EGMR nimmt hierauf ausdrücklich Bezug (Nr. 38458/15, Lovrić v. Croatia, Urteil vom 04.07.2017, Rn. 54).

[49] Der EGMR spricht lediglich von „Member“ (Nr. 38458/15, Lovrić v. Croatia, Urteil vom 04.07.2017, Rn. 72) und legt damit für natürliche wie juristische Personen gleichermaßen fest, unter welchen Umständen ein Ausschluss nicht erfolgen darf.

[50] S.a. Europarat, Fundamental Principles On The Status Of Non-Governmental Organisations in Europe 5/2003, S. 30 (Nr. 71).

[51] https://www.echr.coe.int/Documents/Guide_Art_14_Art_1_Protocol_12_ENG.pdf (01.05.2022).

[52] EGMR, Nr. 17371/90, Gaygusuz v. Austria, Urteil vom 16.09.1996, Rn. 42.

[53] Zu den Sanktionen gegen Russland durch die internationale Staatengemeinschaft siehe Matthias Valta, Wirtschaftssanktionen gegen Russland und ihre rechtlichen Grenzen, Verfassungsblog, 28.02.2022.

Suggested CitationGroß, Jascha, Ausschluss russischer Fußballteams von internationalen Wettkämpfen, jean-monnet-saar 2022, DOI: 10.17176/20220516-162619-0

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