Der wissenschaftliche Mitarbeiter am Jean-Monnet-Lehrstuhl Sebastian Zeitzmann hat am 25.11.15 an der Europäischen Akademie Otzenhausen (EAO) einen Vortrag zu den Perspektiven Europas im Hinblick auf die gegenwärtige Flüchtlings- und Migrationskrise gehalten. Dies erfolgte im Rahmen des Afrika-Forums 2015 an der EAO. Im Rahmen dieser interdisziplinären Veranstaltung befassen sich Praktiker und Wissenschaftler jedes Jahr mit aktuellen Fragestellungen den afrikanischen Kontinent betreffend und diskutieren über gegenwärtige Herausforderungen, denen sich Afrika und, damit verbunden, Europa stellen müssen.
Neben Sebastian Zeitzmann saß mit Max-Peter Ratzel der ehemalige Direktor der EU-Grenzschutzbehörde Frontex auf dem Panel, um sicherheitspolitische Fragen zu diskutieren und über den Schutz der EU-Außengrenzen zu referieren.
Sebastian Zeitzmann kritisierte, dass sich in der Krise gezeigt habe, dass die Europäische Union im Hinblick auf ihr Selbstverständnis als Rechts- sowie Solidargemeinschaft in Belastungssituationen an ihre Grenzen gekommen ist. Die im Rahmen der Asyl- und Einwanderungspolitik bestehenden Mechanismen, bekannt als Dublin-System, würden seit Jahren von den Mitgliedstaaten gebrochen oder – wie die Masseneinwanderungs-Richtlinie 2001/55 – nicht ins Werk gesetzt. Zudem manifestiere sich ein den Grundwerten der Union entgegenstehender Mangel an Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten – und dies nicht nur im Fall der Staaten, welche die Aufnahme von Flüchtlingen verweigern oder diese in andere Staaten weiterleiten, sondern auch im Falle Deutschlands, wenn es, ohne die Auswirkungen auf Staaten entlang der Flüchtlingsroute zu berücksichtigen, sich uneingeschränkt und scheinbar unbeschränkt für Flüchtlinge und Migranten offenzeigt.
Am Besorgniserregendsten sei jedoch, so Sebastian Zeitzmann, die Gefährdung einer der größten Errungenschaften der Europäischen Integration: des gemeinsamen Schengen-Raumes. Mit der Wiedereinführung von Grenzkontrollen sowie dem Bau von Zäunen und Mauern an zahlreichen Binnengrenzen der Union, die zur partiellen oder nahezu vollständigen Abschottung einzelner EU-Staaten geführt hätten, entwickelten sich Zentrifugalkräfte zwischen den Mitgliedstaaten der Union, welche eine gefährliche Eigendynamik entwickeln könnten. Zwar geht Sebastian Zeitzmann nicht so weit wie Jean-Claude Juncker, der in einer Mitteilung vom selben Tag hervorhob, dass ein Scheitern Schengens auch ein Scheitern der gemeinsamen Währung nach sich ziehen würde. Dennoch sei Schengen ein Leuchtturm für die EU-Integration und daher unter allen Umständen zu verteidigen und dauerhaft zu bewahren.
Sebastian Zeitzmann betonte die Notwendigkeit der Rückkehr der Union zur Rechts- und Solidargemeinschaft, eine Verteidigung des erreichten Integrationsstands, die Aufnahme von Flüchtlingen unter Beachtung europäischen und nationalen Einwanderungsrechts sowie die schnellstmögliche Integration der Neuankömmlinge in die Zivilgesellschaften der EU-Mitgliedstaaten. Gelänge dies, ginge mit der Flüchtlingskrise eine erhebliche Chance für einen alternden, schrumpfenden und an Dynamik verlierenden Kontinent einher. Zudem hob Sebastian Zeitzmann hervor, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten Fluchtursachen in den Herkunftsstaaten der Migranten bekämpfen müssten. In Anbetracht von potentiell Millionen drohender Klimaflüchtlinge aus Afrika in den nächsten Jahrzehnten unterstrich er die Notwendigkeit, dass die Union im Rahmen einer internationalen Klimaschutzpolitik eine Vorreiterrolle einnimmt.