Prof Giegerich gibt Interview zu Kriegsverbrechen in bewaffneten Konflikten

Prof. Dr. Thomas Giegerich hat am 20.4.2022 in einem Interview mit der Saarbrücker Zeitung zu Kriegsverbrechen in bewaffneten Konflikten, insbesondere im gegenwärtigen russischen Aggressionskrieg gegen die Ukraine Stellung genommen. Seiner Auffassung nach gibt es gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass russische Militärs in der Ukraine Kriegsverbrechen begangen haben, insbesondere durch Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung. Dafür ist letztlich Präsident Putin als Oberbefehlshaber verantwortlich. Ihn trifft nach dem in Art. 28 des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs kodifizierten Grundsatz des Völkergewohnheitsrechts eine „command responsibility“ als Inhaber der militärischen Befehlsgewalt. Danach ist er selbst völkerstrafrechtlich verantwortlich für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die von den ihm unterstellten Truppen begangen wurden, wenn er von diesen wusste oder hätte wissen müssen und nicht alle in seiner Macht stehenden erforderlichen und angemessenen Maßnahmen ergriffen hat, um die Begehung dieser Verbrechen zu verhindern oder zu unterbinden oder für ihre strafrechtliche Ahndung zu sorgen. Putin hat offensichtlich keinerlei derartige Maßnahmen ergriffen, sondern beschränkt sich daraus, alles abzustreiten. 

Ergänzend zu dem Interview gilt Folgendes: Präsident Putin hat auch ein Verbrechen der Aggression begangen, wie es in Art. 8bis des Römischen Statuts kodifiziert, aber seit dem Nürnberger Kriegsverbrecherprozess als Verbrechen gegen den Frieden auch völkergewohnheitsrechtlich verankert ist. Seine Immunität als amtierendes Staatsoberhaupt schützt ihn zwar vor der Verfolgung durch ausländische nationale Strafgerichte, nach einem in Art. 27 des Römischen Statuts verankerten Grundsatz des Völkergewohnheitsrechts nicht aber vor der Verfolgung durch den Internationalen Strafgerichtshof. Die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs umfasst die in der Ukraine seit dem 20.2.2014 begangenen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, weil die Ukraine eine entsprechende Erklärung nach Art. 12 Abs. 3 des Römischen Statuts abgegeben hat. Eine Zuständigkeit für die Verfolgung des Aggressionsverbrechens hat der Internationale Strafgerichtshof hingegen nicht, weil Russland keine Partei des Römischen Statuts ist und eine entsprechende Überweisung durch den UN-Sicherheitsrat derzeit am Veto Russlands scheitern würde (Art. 15bis, Art. 15ter des Römischen Statuts). Mit der Beendigung seines Amtes als russisches Staatsoberhaupt verliert Putin auch seine Immunität in Bezug auf die Strafverfolgung wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch ausländische nationale Gerichte. Alle Staaten der Welt einschließlich Russlands sind zur Verfolgung dieser Verbrechen völkerrechtlich verpflichtet.