18.08.2021
Ein Beitrag von Christina Backes und Julia Jungfleisch*
Unser Beitrag vom Oktober 2020, der sich mit der Pflicht des Fischervereins in Memmingen beschäftigte auch Frauen zu den Stadtbachfischern und damit zur Wahl des Fischerkönigs zuzulassen, endete damit, dass der Fischerverein Memmingen Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts eingelegt hatte und (nicht nur) unserem Wunsch, dass die höhere(n) Instanz(en) den Tenor des Urteils aufrechterhalten würde(n). Getreu unserem damaligen Märchenmotto wurden jetzt in zweiter Instanz Wünsche wahr, und das Landgericht Memmingen bestätigte in seinem Urteil vom 28.07.2021 das Urteil des Amtsgerichts sowie den darin enthaltenen Anspruch der Klägerin auf Zulassung zu den Stadtbachfischern. Wie schon in der Pressemitteilung festgestellt „unterscheidet sich [das Urteil des Landgerichts] nicht im Ergebnis, aber in der Begründung von der amtsgerichtlichen Entscheidung.“ Das Ergebnis ist nach wie vor begrüßenswert, die Begründung soll im Folgenden näher betrachtet werden.
A. Um was geht es?
Kurz gesagt: „Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin in die Vereinsuntergruppe der „Stadtbachfischer“ aufzunehmen und ob er sie aufgrund ihres weiblichen Geschlechts von der Teilnahme am Ausfischen des Memminger Stadtbaches am sogenannten „Fischertag“ ausschließen kann.“[1] Dabei wird derjenige Fischer, der die schwerste Forelle beim Ausfischen gefangen hat, Fischerkönig. Da es der Klägerin aufgrund der Vereinssatzung nicht möglich ist, am Ausfischen teilzunehmen, weil sie nicht in die Gruppe der Stadtbachfischer aufgenommen werden kann, kann sie auch keine Fischerkönigin werden. Die Klägerin hatte bereits mehrfach auf außergerichtlichen Wegen versucht, zur Teilnahme zugelassen zu werden, war aber immer wieder gescheitert. Das Amtsgericht Memmingen hatte ihr dann letztes Jahr Recht gegeben und einen Anspruch auf Zulassung zu den Stadtbachfischern aus dem Rechtsgedanken der §§826 iVm 249 BGB, Art. 3 Abs. 2 GG zugesprochen. Dagegen hatte der Memminger Fischerverein Berufung eingelegt und ist vor dem Landgericht erneut gescheitert.
Im Unterschied zum Amtsgericht stützt das Landgericht den Anspruch der Klägerin jedoch nicht auf §826 BGB und Art. 3 Abs. 2 GG, dessen (un-)mittelbare Anwendung es dahinstehen lässt, sondern auf §280 BGB und den aus dem Vereinsrecht folgenden zivilrechtlichen Gleichbehandlungsanspruch.
Für die 1. Zivilkammer lagen keine ausreichend gewichtigen Gründe vor, die eine Einschränkung des Rechts des Vereins aus Art. 9 GG, was die Aufnahmebedingungen in Untergruppierungen betrifft, rechtfertigen könnten. Es bestehe kein wesentliches Interesse der Klägerin am Ausfischen des Stadtbachs, durch die Nichtzulassung erleide sie „keinen gravierenden Nachteil. Das allgemeinpolitische Ziel der Klägerin, Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen durchzusetzen […]“, genüge nicht. Es fehle am auf die Mitgliedschaft „Angewiesensein aus wirtschaftlichen oder sozialen Gründen“.
Das Landgericht verneinte außerdem einen Anspruch aus §52 AO, der die Voraussetzungen der Gemeinnützigkeit regelt, da sich daraus lediglich eine steuerliche Vergünstigung für den Verein, nicht aber ein subjektives Recht auf Zulassung ergebe. Auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) finde keine Anwendung, da der Fischerverein keine Beschäftigten- oder Arbeitgebervereinigung iSv § 2 Abs. 1 Nr. 4 AGG darstelle, sodass daraus kein Anspruch auf Zulassung zu den Stadtbachfischern abgeleitet werden könne.
Dennoch dürfe die Klägerin aufgrund allgemeiner Rechtsgrundsätze des Vereinsrechts nicht von den Stadtbachfischern ausgeschlossen werden. Dem Gericht zufolge stellt das Gleichbehandlungsgebot einen solchen „allgemeinen Grundsatz des Verbandsrechts und Ausfluss des Wesens der Korporation im Sinne des Willkürverbots“ dar. Für die Ungleichbehandlung von Vereinsmitgliedern sei daher ein sachlicher Grund erforderlich. An einem solchen mangele es jedoch im vorliegenden Fall: Vereinszweck ist der Satzung zufolge die „Heimatpflege, Heimatkunde, Kultur und Umweltschutz“, der insbesondere durch den Fischertag und das Ausfischen des Stadtbachs erfüllt wird. Dabei soll (nach Angaben des Beklagten selbst) heimisches Brauchtum gepflegt, aber nicht an eine bestimmte (Geschlechter-) Rollenverteilung in besonderer Weise erinnert werden. Zu der Brauchtumspflege ist dem Verein zufolge „gleichermaßen der Spaßfaktor getreten,“ sodass von der ursprünglichen Tradition im Laufe der Jahre immer mehr abgewichen wurde (etwa im Zusammenhang mit den Teilnahmevoraussetzungen für Männer, aber auch bei der Kleidung, die für das Ausfischen getragen werden darf). Ein sachlicher Grund, warum nicht auch Frauen als Stadtbachfischerinnen tätig werden könnten, ist daher dem Gericht zufolge nicht ersichtlich. Der Memminger Fischerverein müsse die Klägerin in die Gruppe der Stadtbachfischer aufnehmen und ihr die Teilnahme am Ausfischen des Stadtbachs ermöglichen.
Offen gelassen hat das Landgericht, ob und inwieweit der Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 2 GG zwischen den beiden Privaten (Klägerin und Beklagtem) im Wege der (mittelbaren) Drittwirkung Anwendung findet.
B. Ende gut, alles gut?
Zunächst zu den überzeugenden Stellen der Entscheidung: Die Ablehnung der Ansprüche aus Allgemeinem Gleichbehandlungsgesetz (AGG), und Abgabenordnung. Für das AGG fehlt es im vorliegenden Fall am wirtschaftlichen Bezug des Vereins und der angestrebten Tätigkeit als Stadtbachfischerin, die AO wiederum enthält mit der steuerrechtlichen Bevorzugung gemeinnütziger Vereine lediglich Anreize für das Schaffen von gleichberechtigtem Zugang zum Vereinsleben, aber eben keine Pflicht des Vereins und denklogisch auch kein Recht der Mitglieder auf Gleichstellung. Die Ablehnung des Anspruchs aus §826 BGB und die damit verbundene mittelbare Grundrechtsbindung des Vereins an Art. 3 Abs. 2 GG dagegen bedürfen genauerer Betrachtung:
Das Amtsgericht zog über §826 BGB den Art. 3 Abs. 2 GG mittelbar für den Aufnahmeanspruch der Klägerin heran und sah die notwendige sittenwidrige Schädigung in der (nicht gerechtfertigten) Ungleichbehandlung von Frauen durch den Verein. Dies lehnt das Landgericht nun unter Verweis auf Art. 9 GG und die daraus folgende Vereinsautonomie ab. Art. 9 GG enthalte nur dann einen Anspruch auf Aufnahme in die Untergruppe der Stadtbachfischer, wenn ein entsprechendes wesentliches Interesse der Klägerin bestünde; ein solches sei hier nicht ersichtlich.
Die Ablehnung eines wesentlichen Interesses erscheint allerdings mit Blick auf die weiteren Ausführungen der Kammer widersprüchlich: So hält es die Kammer für “keinen gravierenden Nachteil”, dass die Klägerin nicht in die Gruppe der Stadtbachfischer aufgenommen werde. Sie könne schließlich auf vielfältige Weise am Fischertag teilnehmen, es bestehe daher weder ein wirtschaftliches noch ein soziales Interesse an der Aufnahme. Bei der Auseinandersetzung mit einer Mindermeinung von Schwennicke[2] zur Anwendbarkeit des vereinsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes wiederum geht die Kammer davon aus, dass der Ausschluss der Klägerin von der Gruppe der Stadtbachfischer den Kerngehalt ihrer Mitgliedschaft betreffe und sie von wesentlichen Teilen der Mitgliedschaft ausschließe, sodass der (vereinsrechtliche) Gleichbehandlungsgrundsatz Anwendung finden müsse.
Die Klägerin erleidet also, wenn man dem Landgericht folgt, zwar keinen gravierenden Nachteil durch den Ausschluss von den Stadtbachfischern, ist aber im Kerngehalt ihrer mitgliedschaftlichen Rechte betroffen, aus denen sich ein Anspruch auf Aufnahme in die Gruppe ergibt. Dieser Widerspruch ist unnötig, denn die Klägerin hat zwar weder ein wirtschaftliches noch ein soziales (wobei in Anbetracht der Größe des Vereins und der Einzigartigkeit der Veranstaltung des Fischertages bereits Zweifel an der Ablehnung des sozialen Interesses berechtigt sind),[3] wohl aber ein (grund-)rechtliches Interesse an der Zulassung zur Gruppe der Stadtbachfischer. Wenn für ein wesentliches Interesse im Sinne des Art. 9 GG bereits wirtschaftliche und soziale Interessen genügen, sollte das erst recht für rechtliche Ansprüche gelten.
Die Klägerin hat, wie auch vom Landgericht angenommen, ein Recht auf Aufnahme in die Gruppe der Stadtbachfischer, sodass es sich bei ihrem Anliegen eben nicht um ein “allgemeinpolitisches Ziel”, sondern um die Durchsetzung eines ihr zustehenden Rechts auf Gleichbehandlung handelt und damit ein wesentliches Interesse der Klägerin besteht.
Im Unterschied zum Amtsgericht entsteht für das Landgericht dieses wesentliche Interesse jedoch aus dem Privatrecht und nicht aus einer mittelbaren Drittwirkung des Art. 3 Abs. 2 GG. Das Gericht wählt damit den restriktiveren Weg, der vereinsrechtliche Gleichbehandlungsanspruch unterfällt lediglich einer Willkürkontrolle, wobei der Satzungszweck bereits einen sachlichen Grund für eine Ungleichbehandlung darstellen kann. Im Unterschied dazu lässt Art. 3 Abs. 2 GG eine Ungleichbehandlung lediglich dann zu, wenn zwingende biologische Gründe dies erfordern.[4]
Die Annahme einer mittelbaren Drittwirkung hätte durchaus weitreichende Folgen gehabt: Vereine in vergleichbaren Situationen wie der Memminger Fischerverein wären jedenfalls über die entsprechenden zivilrechtlichen Einfallstore (§826 BGB; §242 BGB) grundrechtlich zur Gleichbehandlung verpflichtet. Eine Ungleichbehandlung aus Gründen des Geschlechts wäre (es sei denn aus zwingenden biologischen Gründen) auch bei anders lautender Vereinssatzung bzw. anders lautendem Vereinszweck unmöglich und die Vereinsautonomie erheblich eingeschränkt worden.
Aus der Rechtsprechung des BVerfG kann eine solche weitreichende Wirkung des Art. 3 Abs. 2 GG nicht entnommen werden. Während das BVerfG in der Stadionverbotsentscheidung “(einen) allgemeine(n) Grundsatz, wonach private Vertragsbeziehungen jeweils den Rechtfertigungsanforderungen des Gleichbehandlungsgebots unterlägen, (…)” ablehnt, verweist es explizit daraus, dass “(ü)ber eventuell weitergehende Anforderungen aus speziellen Gleichheitsrechten wie Art. 3 Abs. 2 und 3 GG (…) hier nicht zu entscheiden (war)”, und lässt damit Raum für Spekulationen über eine weitergehende Drittwirkung hinsichtlich der Gleichbehandlung von Männern und Frauen. Die fehlende verfassungsgerichtliche Anleitung allerdings dürfte letztlich mit einer der Gründe für das Landgericht gewesen sein, sich auf den “sicheren” zivilrechtlichen Weg zu beschreiten und eine Drittwirkung offen zu lassen.
Dieser Weg lässt allerdings den Vereinen größeren Spielraum hinsichtlich der Ungleichbehandlung ihrer Mitglieder. Mit Blick auf die effektive Beseitigung der Diskriminierung von Frauen in der Gesellschaft wäre es wünschenswert gewesen, dass das Landgericht dem Amtsgericht gefolgt wäre und ebenfalls eine mittelbare Drittwirkung angenommen hätte, die wie weiter oben gezeigt auch mit (Teilen) der Argumentation des Landgerichts im Einklang steht. Immerhin wird der Verein von der vom Landgericht aufgrund der „grundsätzlichen Bedeutung der Angelegenheit und zur Fortbildung des Rechts” zugelassenen Revision keinen Gebrauch machen. Die Entscheidung ist daher endgültig und wird trotz der gezeigten Widersprüche erhebliche Signalwirkung für vergleichbare Fälle in denen Frauen in privaten Vereinen diskriminiert werden, haben. Das Urteil des Landgerichts ist ohne Zweifel ein wichtiger Schritt in Richtung Gleichberechtigung von Frauen in der Gesellschaft insgesamt – ein Ziel, das Deutschland nicht zuletzt durch Art. 2 e) und Art. 5 CEDAW aufgegeben wird und auch bei der Ernennung einer Veranstaltung zum Weltkulturerbe eine Rolle spielen kann. So scheiterte 2020 die Aufnahme des sog. Blutritts in das bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes an der fehlenden Bereitschaft Frauen mitreiten zu lassen.[5] Die Aufnahme in das Bundesverzeichnis[6] ist der erste Schritt um anschließend von Deutschland[7] als schützenswerte Kulturform für eine internationale UNESCO-Liste nominiert zu werden und damit letztlich auch als immaterielles Kulturerbe eingetragen zu werden. Durch die Entscheidung von deutscher Seite, dort lediglich solche Kulturformen zu nominieren, die allen Geschlechtern gleichermaßen offen stehen, wird die mit Art. 2 e) und Art. 5 CEDAW im Einklang stehende Überzeugung deutlich, dass Tradition zwar die Weitergabe von „Verhaltensweisen, Ideen, [oder] Kultur“ bedeutet, die Weitergabe von Diskriminierungen jedoch nicht schützenswert ist.
Der Fall aus Memmingen hat gezeigt, dass neben den Anreizen aus der AO und den Anforderungen an eine Listung als immaterielles Kulturerbe, auch subjektive und damit einklagbare Gleichbehandlungsansprüche bestehen, die im besten Fall aus der Verfassung direkt, jedenfalls aber aus dem Vereinsrecht abgeleitet werden können.
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*Ass. iur. Christina Backes, LL.M. ist Leiterin der Geschäftsstelle der DJFT. Dipl.-Jur. Julia Jungfleisch, LL.M. ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Lehrstuhl von Prof. Dr. Thomas Giegerich.
[1] LG Memmingen, Urteil vom 28. Juli 2021 – 13 S 1372/20, juris, Rn. 1.
[2] Schwennicke, in: Staudinger (Hrsg.), BGB, Neubearb. 2019, § 35 Rn. 25 ff. und § 38 Rn. 34.
[3] vgl. etwa Neuner, Das BVerfG im Labyrinth der Drittwirkung, NJW 2020, 1851, (1854): “Da kulturelle oder sportliche Angebote nur schwer substituierbar sind und auch der öffentliche Diskurs Informationsmöglichkeiten erfordert, bestehen in diesem Bereich erhöhte Abschlusspflichten.”
[4] Heun, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 3. Aufl. 2013, Art. 3, Rn. 112.
[5]Vgl. https://www.sueddeutsche.de/kultur/brauchtum-weingarten-blutritt-in-weingarten-das-letzte-jahr-ohne-reiterinnen-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-210513-99-587162 (18.08.2021).
[6] Dabei handelt es sich um ein mehrstufiges Verfahren an dem die deutsche UNESCO-Kommission, die Länder, die Kultusministerkonferenz sowie die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien beteiligt sind, vgl. https://www.unesco.de/kultur-und-natur/immaterielles-kulturerbe/immaterielles-kulturerbe-werden (18.08.2021).
[7] Genauer: die Kulturform wird vom Expertenkomitee „Immaterielles Kulturerbe“ der Deutschen UNESCO-Kommission zur Nominierung vorgeschlagen, damit die Kulturform tatsächlich nominiert ist, müssen Kulturministerkonferenz und die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien diesem Vorschlag zustimmen. Pro Jahr kann von deutscher Seite lediglich ein Vorschlag gemacht werden. Über die tatsächliche Eintragung entscheidet dann der zwischenstaatliche Ausschuss des UNESCO-Übereinkommens. https://www.unesco.de/kultur-und-natur/immaterielles-kulturerbe/immaterielles-kulturerbe-werden (18.08.2021).
Suggested Citation: Backes, Christina, Jungfleisch, Julia, Das Gleichbehandlungsgebot und private Vereine: Neues aus Memmingen, jean-monnet-saar 2021, DOI: 10.17176/20220428-124010-0