Prof. Giegerich über geschlechtergerechte politische Partizipation und die Frage, ob wir eine Frauenquote im Wahlrecht brauchen

Im Rahmen der interdisziplinären UdS-Ringvorlesung „Facetten der Vielfalt – Genderforschung und ihre Bedeutung für die Gesellschaft“ hat Thomas Giegerich in der letzten Woche einen Vortrag mit dem Titel „Geschlechtergerechte politische Partizipation – Brauchen wir eine Frauenquote im Wahlrecht?“ gehalten. Er kam zu folgendem Ergebnis:

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es noch keine harte und wasserdichte internationale oder supranationale Rechtspflicht für Staaten gibt, verbindliche Quoten oder Geschlechterparitätsvorgaben zu erlassen, um die politische Vertretung von Frauen zu verbessern. Aber die entsprechenden Soft-Law-Vorgaben auf europäischer und globaler Ebene verbreiten und verfestigen sich allmählich, nicht zuletzt weil viele enge Partnerstaaten Deutschlands solche Quoten längst eingeführt haben. Es bleibt abzuwarten, ob Deutschland nachzieht oder eher zurückbleibt, weil es den Widerstand u.a. der Landesverfassungsgerichte nicht überwinden kann oder will. Das hängt letztlich davon ab, wie sehr sich die Wählerinnen in Deutschland um ihr Recht auf gleiche Vertretung kümmern, das in Art. 3 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 7 CEDAW verankert ist, dessen tatsächliche Umsetzung aber zu wünschen übrig lässt. Laut einer kürzlich in Deutschland durchgeführten Umfrage befürwortete nur eine kleine Minderheit von 8% der Befragten die Einführung verbindlicher Frauenquoten, wobei mehr Frauen als Männer positiv antworteten.

Offensichtlich ist eine viel stärkere öffentliche Debatte über die politische Vertretung von Frauen in Deutschland notwendig. Den Wählerinnen und Wählern muss bewusst werden, dass die Unterrepräsentanz von Frauen in der Legislative die Einbeziehung der Geschlechterperspektive in einem ganz entscheidenden Bereich behindert. Andernfalls besteht die Gefahr, dass Deutschland bei der politischen Repräsentation von Frauen hinter die Entwicklung auf europäischer und globaler Ebene zurückfällt. Dann wird Deutschland wahrscheinlich auch bei der Gleichstellung der Geschlechter insgesamt zurückbleiben und damit die verborgenen Ressourcen und Talente des größeren Teils seiner Bevölkerung nicht angemessen nutzen. Das wäre ein Nachteil im globalen Wettbewerb.

Thomas Giegerich hat zu diesem Thema im letzten Jahr den folgenden Beitrag veröffentlicht:

Gendering Political Participation in Germany and Beyond – Should Quotas Ensure Gender Parity in Parliaments?, in: Oskar J. Gstrein/Mareike Fröhlich/Caspar van den Berg/Thomas Giegerich (eds.), Modernising European Legal Education (MELE): Innovative Strategies to Address Urgent Cross-Cutting Challenges (Springer 2023), S. 141 – 165

Das vorgenannte Buch ist als open access book frei abrufbar unter https://www.springerprofessional.de/en/modernising-european-legal-education-mele/25949916.

Print Friendly, PDF & Email

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Verifikation * Time limit is exhausted. Please reload the CAPTCHA.