Rote Karte für goldene Pässe – Der EuGH setzt ein Zeichen gegen den Ausverkauf der Unionsbürgerschaft

EuGH, Urteil v. 29.4.2025, Rechtssache C-181/23

Eine Case Note von Lucca Kaltenecker*

Hier klicken um die PDF einzusehen.

Der Verkauf von Pässen galt lange Zeit als eher zwielichtige Angelegenheit. In Zeiten knapper Staatskassen hat jedoch so mancher Staat das wirtschaftliche Potenzial der Vermarktung der Staatsangehörigkeit entdeckt. Auch die EU-Mitgliedstaaten Malta, Zypern und Bulgarien haben ab 2005 sukzessive Regelungen über den privilegierten Erwerb der jeweiligen Staatsangehörigkeit als Gegenleistung für Zahlungen oder Investments in bestimmter Höhe eingeführt und sich so auf diesem lukrativen Markt[1] positioniert.[2]

Diese als Citizenship by Investment (CBI) bezeichneten Programme bieten wohlhabenden Drittstaatsangehörigen eine Abkürzung auf dem eigentlich langwierigen und voraussetzungsreichen Weg zur Einbürgerung. Gleichzeitig sehen sich solche Programme heftiger Kritik ausgesetzt.[3] Dies gilt umso mehr, als dass der Erwerb der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates gem. Art. 20 Abs. 1 S. 2 AEUV automatisch den Erwerb der Unionsbürgerschaft zur Folge hat. Im Urteil Kommission v. Malta[4] hat der Gerichtshof nun festgestellt, dass die Vermarktung der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates und damit auch der Unionsbürgerschaft gegen Unionsrecht verstößt.

Die Umstände des Falles

In Malta kann gemäß der dort aktuell geltenden Rechtslage die maltesische Staatsangehörigkeit, vorbehaltlich bestimmter Sicherheitsüberprüfungen, an Ausländer verliehen werden, die die folgenden Transaktionen zu Gunsten der Regierung oder sonstiger maltesischer Organisationen ausgeführt oder sich hierzu verpflichtet haben: Erstens eine Zahlung von 600.000 € oder 750.000 € an die Regierung, zweitens der Erwerb einer Wohnimmobilie im Wert von mindestens 700.000 € oder die Miete einer solchen Immobilie zu einer jährlichen Miete von mindestens 16.000 € für mindestens 5 Jahre, sowie drittens eine Spende in Höhe von 10.000 € an eine eingetragene oder in sonstiger Weise behördlich zugelassene NGO, die bestimmte soziale Zwecke verfolgt (Rn. 24).

Zwar setzt der Erwerb der maltesischen Staatsangehörigkeit auch in diesen Fällen grundsätzlich die Wohnsitznahme in Malta (residency) für einen Zeitraum von 12 Monaten (bei Zahlung an die Regierung i. H. v. 750.000 €) bzw. 36 Monate (bei Zahlung i. H. v. 600.000 €) voraus. Nach der Rechtsauffassung der zuständigen Behörde ist diese Voraussetzung aber nicht so zu verstehen, dass ein tatsächlicher dauerhafter oder regelmäßiger physischer Aufenthalt in Malta erforderlich wäre. Vielmehr wird die Bescheinigung über das dauerhafte Aufenthaltsrecht als Nachweis der Wohnsitznahme anerkannt.[5]

Die Kommission hielt diese Praxis aufgrund der mit ihr verbundenen Kommerzialisierung der maltesischen Staatsangehörigkeit und mittelbar der Unionsbürgerschaft für unvereinbar mit dem Unionsrecht. Sie verstoße insbesondere gegen das in Art. 20 AEUV vorausgesetzte Wesen der Unionsbürgerschaft als Resultat einer echten Bindung zwischen dem Staat und den Erwerbern der Staatsangehörigkeit (Rn. 46). Zudem gefährde diese Vorgehensweise die Integrität des Unionsbürgerstatus und stelle eine Verletzung des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit (Art. 4 Abs. 3 EUV) dar (Rn. 53). Die Kommission leitete daher ein Vertragsverletzungsverfahren vor dem EuGH ein.

Die Entscheidung des Gerichtshofs

Der EuGH musste sich zunächst mit dem Einwand auseinandersetzen, dass die Regelung des Staatsangehörigkeitsrechts zu den Kompetenzen der Mitgliedstaaten zähle.[6] Es gehört aber zum klassischen Kanon der Rechtsprechung des EuGH, dass selbst in den Bereichen, die der ausschließlichen Zuständigkeit der Mitgliedstaaten unterliegen, diese Zuständigkeit nur unter Beachtung des Unionsrechts ausgeübt werden darf.[7] Zwar berief sich die maltesische Regierung auf die in Art. 4 Abs. 2 Satz 1 Var. 2 EUV verankerte Pflicht zur Achtung der nationalen Identität, weshalb die Kontrolle der Einhaltung des Unionsrechts in Bereichen, die eng mit der staatlichen Eigenständigkeit der Mitgliedstaaten verknüpft sind, nur in eingeschränkter Form erfolgen dürfe. (Rn. 63, 65 f.). Da eine solche auf erhebliche oder systematische Verstöße beschränkte Prüfung de facto aber eine Einschränkung des Vorrangs des Unionsrechts bedeuten würde, hat der Gerichtshof diese Argumentation folgerichtig abgelehnt (Rn. 82 f.).

Inhaltlich stellt der Gerichtshof zunächst fest, dass die Unionsbürgerschaft aufgrund der mit ihr verbundenen politischen Rechten und Freizügigkeitsrechten grundlegend für die Teilhabe der Unionsbürger am demokratischen Leben der Union ist (Rn. 86, 88 f.).  Die Unionsbürgerschaft steht daher nach Auffassung des Gerichtshofs in einem engen Zusammenhang mit dem gem. Art. 2 S. 1 EUV für die Union grundlegenden Wert der Demokratie (Rn. 89). Insoweit ist die Unionsbürgerschaft mehr als die Summe der Rechte, die sie ihrem Träger verleiht. Ihr liege ein besonderes Verbundenheits- und Loyalitätsverhältnis zu Grunde (Rn. 96 f.). Mit diesem letztlich aus Art. 2 S. 1 EUV geronnenen Wesen der Unionsbürgerschaft sei es unvereinbar, ihren Erwerb zum Gegenstand einer bloßen geschäftlichen Transaktion zu machen (Rn. 99 f.).

Schließlich stellt der EuGH zusätzlich einen Verstoß gegen das aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit (Art. 4 Abs. 3 EUV) folgenden Vertrauensprinzip fest (Rn. 101).[8] Insoweit gilt, dass alle Mitgliedstaaten auf die Einhaltung der Werte des Art. 2 EUV durch die anderen Mitgliedstaaten vertrauen können.[9] Dieses Vertrauen manifestiert sich im Staatsangehörigkeitsrecht durch die unter den Mitgliedstaaten – anders im Völkerrecht[10] – uneingeschränkte Pflicht, die Verleihung der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates und damit den Erwerb der Unionsbürgerschaft vorbehaltlos anzuerkennen.[11] Wie Spieker[12] bereits treffend bemerkt hat, beruht dieses Vertrauen aber auf der Grundlage, dass alle Mitgliedstaaten ihre Staatsangehörigkeit nur im Einklang mit den o.g. Werten verleihen.

Fazit und Ausblick

Die Kommerzialisierung der Staatsangehörigkeit, d.h. die Anknüpfung nicht an Aufenthalt, Geburt oder Abstammung, sondern an die bloße Zahlungsfähigkeit des Einbürgerungsbewerbers, rüttelt an den Grundfesten des traditionellen Verständnisses dieses Rechtsinstituts.[13] Es ist zu begrüßen, dass der EuGH eine wertebasierte Konzeption der Unionsbürgerschaft unter Fortführung der in den letzten Jahren ergangene Rechtsprechung zur Justiziabilität von Art. 2 EUV[14] vertritt.

Gleichzeitig hat der EuGH darauf verzichtet, den Mitgliedstaaten allzu weitgehende Vorgaben für die Ausgestaltung ihres Staatsangehörigkeitsrechts zu machen. Entscheidend war insbesondere nicht die fehlende Bindung des Einbürgerungsbewerbers zum Einbürgerungsstaat, sondern der Gesichtspunkt der Kommerzialisierung der Staatsangehörigkeit (Rn. 99 f.). Insoweit dürften Regelungen über die Einbürgerung von Leistungssportlern oder von Personen mit besonderen (nicht-monetären) Verdiensten von dem Urteil nicht betroffen sein.[15]

Die Entscheidung schließt die Vermarktung der Unionsbürgerschaft durch einzelne Mitgliedstaaten auf Kosten anderer Mitgliedstaaten sowie der Unionsbürger für die Zukunft aus. Ein letzter Wermutstropfen verbleibt: Leider fehlt es wohl an einer Rechtsgrundlage, um die in der Vergangenheit unrechtmäßig erwirtschafteten Einnahmen der Republik Malta abzuschöpfen.

Bestandskräftige Einbürgerungen, die aufgrund der beanstandeten Regelung vorgenommen wurden, dürften jedenfalls von Unionsrechts wegen nicht zwingend zurückzunehmen sein.[16] Vielmehr setzt die Aufhebung einer Einbürgerung, die zum Verlust des Unionsbürgerstatus führt, nach der Rechtsprechung des EuGH eine individuelle Prüfung und die Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit voraus.[17] Es ist letztlich ein Gebot der ebenfalls in Art. 2 EUV erwähnten Rechtsstaatlichkeit, hiervon auch bei zweifelhaften Begünstigten nicht abzuweichen.


*Cand. iur. Lucca Kaltenecker, LL.B., Lic. de droit (Université de Strasbourg) ist wissenschaftliche Hilfskraft an den Lehrstühlen von Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger und Univ.-Prof. Dr. Philippe Cossalter. Er studierte Rechtswissenschaften und französisches Recht an der Université de Strasbourg und der Universität des Saarlandes und befindet sich aktuell in der Vorbereitung auf das 1. juristische Staatsexamen.

[1] Einige Kanzleien haben sich auf diesen Bereich spezialisiert und werben offensiv mit den wirtschaftlichen Vorteilen solcher Programme für die beteiligten Staaten, z.B. https://www.henleyglobal.com/countries. Zu den beachtlichen Erträgen und ihrer Verteilung: Office of the Regulator – Individual Investor Programme, Tenth Annual Report, 2023, S. 66 ff.

[2] COM(2019) 12 final, S. 3.

[3] Entschließung des Europäischen Parlaments vom 16. Januar 2014 zum Verkauf der Unionsbürgerschaft (2013/2995[RSP]).

[4] EuGH, Urt. v. 29.4.2025, Rs. C-181/23.

[5] Office of the Regulator – Individual Investor Programme, Fourth Annual Report, 2017, S. 31 f. Zwar werden gewisse „Bindungen“ (genuine links) zu dem Land gefordert, auch diese lassen sich jedoch durch bloße finanzielle Transaktionen realisieren und nachweisen, die keine (längere) Anwesenheit in Malta voraussetzen.

[6] So dezidiert: Weiler, Citizenship for Sale (Commission v Malta) – Who of the Two is Selling European Values?, Verfassungsblog v. 14.4.2024.

[7] Zum Staatsangehörigkeitsrecht EuGH, Urt. v. 7.7.1992, Rs. C-369/90.

[8] Zu diesem Prinzip Kahl, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 6. Auflage 2022, Art. 4 Rn. 105.

[9] Von Bogdandy/Spieker, EuR 2020, 301 (329 f.).

[10] IGH, Urt. v. 6.4.1955, Nottebohm, Slg. 1955, S. 4 ff.

[11] EuGH, Urt. v. 7.7.1992, Rs. C-369/90.

[12] Spieker, Dismissing the Genuine Link by Disregarding Constitutional Principles, Verfassungsblog v. 9.10.2024; a.A.: GA Collins, Schlussanträge zur Rs. C-181/23, Rn. 47.

[13] Weidenholzer, Debattenbeitrag in der Sitzung des Europäischen Parlaments v. 15.1.2014, TOP 17.

[14] Grundlegend: EuGH, 27.2.2018, Rs. C-64/16.

[15] Vgl. zu der Befürchtung, auch diese Wege der Einbürgerung könnten sich als unionsrechtswidrig erweisen: Van den Brink, 3½ Myths about EU law on Citizenship for Sale, Verfassungsblog v. 7.5.2024.

[16] Für den Fall belastender Verwaltungsentscheidungen EuGH, Urt. v. 13.1.2004, Rs. C-453/00, Rn. 22 ff.; Urt. v. 19.9.2006, verb. Rs. C-392/04 u. C-422/04 Rn. 52 ff.; Urt. v. 12.2.2008, Rs. C-2/06, Rn. 37; Kahl, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 6. Auflage 2022, Art. 4 EUV Rn. 140. Siehe auch Cox, The EU Free Market Does Not Extend to Citizenship, Verfassungsblog v. 30.4.2025.

[17] Vgl. zum Widerruf einer Einbürgerungszusicherung: EuGH, Urt. v. 18.1.2022, Rs. C-118/20, Rn. 51, 58.

ZitiervorschlagKaltenecker, Lucca, Rote Karte für goldene Pässe – Der EuGH setzt ein Zeichen gegen den Ausverkauf der Unionsbürgerschaft, jean-monnet-saar 2025.

Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) – Projektnummer: 525576645

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert