Drei-Prozent-Sperrklausel in Deutschland verfassungswidrig

Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hebt Sperrklausel zum zweiten Mal auf: Chancen für Kleinparteien steigen

 

Mit dem Urteil vom heutigen Tag (26.02.2013) hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts in der Rechtssache 2 BvE 2/13 u.a. § 2 Abs. 7 des Europawahlgesetzes (EuWG) für verfassungswidrig erklärt. Diese Bestimmung sieht eine Sperrklausel von 3 % für den Einzug in das Europäische Parlament vor. Solche Sperrklauseln sind in 15 von 28 Mitgliedstaaten üblich und reichen von 1,8 bis 5 %. Die 751 Abgeordneten des Europäischen Parlaments werden nach nationalen Gesetzen in nationalen Wahlen gewählt, welche auf europäischer Ebene koordiniert und durch Europarecht harmonisiert sind. Dabei haben die einzelnen Mitgliedstaaten der Union einen gewissen Ermessensspielraum bei der Ausgestaltung der Wahlen.

In Deutschland galt bis zum 09.11.2011 noch eine 5 % Hürde für den Einzug ins Europäische Parlament, welche das Karlsruher Gericht im Urteil zur Rechtssache 2 BvC 4/10 aufgehoben hatte. Die Reaktion des Gesetzgebers erfolgte mittels des Fünften Gesetzes zur Änderung des Europawahlgesetzes vom 7. Oktober 2013 (BGBl I S. 3749), welches die jetzt hinfällige Drei-Prozent-Sperrklausel etablieren wollte. Dazu führt das Gericht im heutigen Urteil aus:

Nach diesen Maßstäben ist die Drei-Prozent-Sperrklausel (§ 2 Abs. 7 EuWG) mit Art. 3 Abs. 1 und Art. 21 Abs. 1 GG unvereinbar. Die für die Beurteilung maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse haben sich seit dem Urteil vom 9. November 2011 nicht entscheidend geändert (1.). Die zur Rechtfertigung der Sperrklausel herangezogenen Entwicklungen stehen am Anfang und sind in ihren Auswirkungen nicht abschätzbar, so dass gegenwärtig aus ihnen nicht geschlossen werden kann, ohne eine Sperrklausel werde die Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments mit einiger Wahrscheinlichkeit beeinträchtigt (2.). Der Umstand, dass die Drei-Prozent-Sperrklausel in die Wahlrechtsgleichheit und in die Chancengleichheit der Parteien weniger intensiv als vormals die Fünf-Prozent-Sperrklausel eingreift, genügt nicht zur Rechtfertigung der angegriffenen Regelung (3.).Nach diesen Maßstäben ist die Drei-Prozent-Sperrklausel (§ 2 Abs. 7 EuWG) mit Art. 3 Abs. 1 und Art. 21 Abs. 1 GG unvereinbar. Die für die Beurteilung maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse haben sich seit dem Urteil vom 9. November 2011 nicht entscheidend geändert (1.). Die zur Rechtfertigung der Sperrklausel herangezogenen Entwicklungen stehen am Anfang und sind in ihren Auswirkungen nicht abschätzbar, so dass gegenwärtig aus ihnen nicht geschlossen werden kann, ohne eine Sperrklausel werde die Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments mit einiger Wahrscheinlichkeit beeinträchtigt (2.). Der Umstand, dass die Drei-Prozent-Sperrklausel in die Wahlrechtsgleichheit und in die Chancengleichheit der Parteien weniger intensiv als vormals die Fünf-Prozent-Sperrklausel eingreift, genügt nicht zur Rechtfertigung der angegriffenen Regelung (3.).

[…]

Die Drei-Prozent-Sperrklausel greift zwar weniger intensiv in die Wahlrechtsgleichheit und in die Chancengleichheit der Parteien ein als die frühere Fünf-Prozent-Sperrklausel. Daraus folgt jedoch nicht, dass der auch mit der Drei-Prozent-Sperrklausel verbundene Eingriff in die Wahlrechtsgleichheit vernachlässigbar wäre und keiner Rechtfertigung bedürfte. Ein Sitz im Europäischen Parlament kann bereits mit etwa einem Prozent der abgegebenen Stimmen errungen werden, so dass die Sperrklausel praktische Wirksamkeit entfaltet. Da eine Sperrklausel im deutschen Europawahlrecht gegenwärtig – und zwar mit Blick sowohl auf die bestehenden Verhältnisse als auch auf hinreichend sicher prognostizierbare Entwicklungen – bereits nicht erforderlich ist, es also an der Rechtfertigung bereits dem Grunde nach fehlt, kommt es auf Fragen der Angemessenheit der Drei-Prozent-Klausel nicht an.

Die Richter waren sich allerdings nicht einig. Das Urteil wurde mit 5:3 Stimmen gefällt. Eine abweichende Meinung vertritt der saarländische Richter Peter Müller:

Mit der Festlegung einer Sperrklausel in Höhe von 3 % bewegt der Gesetzgeber sich innerhalb des ihm grundsätzlich zustehenden Gestaltungsspielraums (vgl. BVerfGE 51, 222 <249 ff.>; 82, 322 <338>). Dem Senat ist zuzustimmen, wenn er darauf verweist, dass die unterschiedlichen Vorschriften des Europawahlrechts Ausdruck der jeweiligen Tradition der Mitgliedstaaten sind. Dies ändert jedoch nichts daran, dass diese unterschiedlichen Regelungen in keinem Fall in ihrer Wirkung hinter § 2 Abs. 7 EuWG zurückbleiben. Unter Berücksichtigung faktischer Begrenzungen ergibt sich der Befund, dass mit Ausnahme Spaniens in allen Mitgliedstaaten das Erreichen eines Anteils von mindestens 3 % der abgegebenen Stimmen Voraussetzung der Zuteilung eines Mandats bei der Wahl des Europäischen Parlaments ist. Vor diesem Hintergrund ist es nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber eine Sperrklausel in Höhe von 3 % als zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments geeignet angesehen hat.

Der Erforderlichkeit der Regelung des § 2 Abs. 7 EuWG kann die Möglichkeit einer Korrektur des Europawahlrechts durch den nationalen Gesetzgeber nicht entgegengehalten werden […]. Eine solche Korrektur kann ihre Wirkung erst für die nachfolgende Wahlperiode entfalten, so dass eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments für die laufende Wahlperiode hinzunehmen wäre. Ich bin mir sicher, dass dies verfassungsrechtlich nicht geboten sein kann. Stattdessen wäre der Gesetzgeber verpflichtet, § 2 Abs. 7 EuWG zu überprüfen und gegebenenfalls zu ändern, wenn sich erweisen sollte, dass die Prognose der Notwendigkeit einer Sperrklausel zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments fehlerhaft war (vgl. BVerfGE 120, 82 <108>; 129, 300 <321 f.>; 131, 316 <339>).

Für allgemeine Informationen zur Wahl empfiehlt sich ein Besuch der Website http://www.elections2014.eu/de. Und hier noch eine Übersicht zu den wichtigsten Fakten der Europawahl 2014:

2014-european-elections-national-rules-final-0012014-european-elections-national-rules-final-002