Der Mensch als „Maß aller Dinge“ im Völkerrecht, Europarecht und Grundgesetz

Ein Beitrag von Univ. Prof. Dr. Thomas Giegerich, LL.M. (Univ. of Virginia)*

„Der Mensch ist das Maß aller Dinge.“ Diese zweieinhalbtausend Jahre alte Aussage des Sophisten Prōtagóras mache ich mir für die rechtlichen Dinge zu Eigen: Alles Recht ist Menschenwerk und findet daher sein Maß notwendigerweise im Menschen, der es in seinem Interesse formuliert, für seine Zwecke anwendet und ihm zugleich unterworfen ist. Ich will dies anhand des Völkerrechts, Europarechts und deutschen Verfassungsrechts erläutern.

I.         Der Mensch im Völkerrecht seit der kopernikanischen Wende von 1945

Erst mit der Menschenrechtsrevolution seit 1945 ist der Mensch zum Dreh- und Angelpunkt des Völkerrechts geworden; zuvor wurde er vom souveränen Staat mediatisiert. Aber nach dem Desaster zweier Weltkriege und des Holocaust vollzog die Menschheit 1945 eine kopernikanische Wende: Durch die UN-Charta und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte entzog sie den Staaten die freie Verfügungsmacht nicht nur über die militärische Gewalt, sondern auch über die Menschen.[1] Damit begann die Zivilisierung und Individualisierung des Völkerrechts. UNCh und AEMR berufen sich auf die Menschenwürde, deren Anerkennung als wesentliche Grundlage des Weltfriedens identifiziert wird. Seither haben die Menschen den Staat in ein Instrument verwandelt, um ihre Rechte effektiv durchsetzen, sowohl im Innern im Verhältnis zueinander als auch nach außen im Völkerrechtsraum gegenüber anderen Staaten.[2] Sie haben damit auch das Völkerrecht insgesamt von einem Recht der Staaten in ein Recht der Menschen umgewandelt.[3]

1945 schlug zugleich die Geburtsstunde des Völkerstrafrechts.[4] Sollen elementare Völkerrechtsregeln effektiv durchgesetzt werden wollen, müssen diejenigen Menschen wirksam zur Verantwortung gezogen werden, die sie im Namen ihrer Staaten in schwerwiegender Weise verletzen.[5] Nicht von ungefähr entsteht das Völkerstrafrecht gleichzeitig mit der Menschenrechtsrevolution. Strafrecht ist nämlich ein unverzichtbares Mittel des Menschenrechtsschutzes, weil Straflosigkeit schwerste Menschenrechtsverletzungen begünstigt. Andererseits schützen die Menschenrechte vor exzessiver Strafgewalt. Das Verhältnis zwischen Strafrecht und Menschenrechten ist daher seit jeher ambivalent gewesen.

Denn die Menschenrechte verlangen neben dem Opferschutz auch einen Täterschutz. Da das Völkerstrafrecht so neu war, erhoben die Angeklagten im Nürnberger Hauptkriegsverbrecher-Prozess prompt, aber vergeblich Einwände aus dem Rückwirkungsverbot (Nullum crimen sine lege-Grundsatz).[6] Um solche in Zukunft auszuschließen, passte Art. 7 EMRK von 1950 den Nulla-poena-Grundsatz den neuen Gegebenheiten an: War die Tat zur Begehungszeit nicht nach innerstaatlichem Rechts strafbar, so genügte ihre Strafbarkeit nach internationalem Recht (Abs. 1) oder auch nur nach den von den zivilisierten Völkern anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätzen (Abs. 2).[7] Bei ihrem Beitritt zur EMRK im Jahre 1952 legte die Bundesrepublik Deutschland übrigens aus Opposition gegen den Nürnberger Prozess als „Siegerjustiz“ einen Vorbehalt gegen Art. 7 Abs. 2 EMRK ein,[8] den sie erst 2001 zurücknahm.[9] Zwischenzeitlich hatte das Bundesverfassungsgericht die „Radbruch’sche Formel“ bemüht, um die Ahndung von staatlichem Unrecht der früheren DDR durch die Strafgerichte der Bundesrepublik Deutschland zu ermöglichen.[10]

Die Anerkennung der aktiven und passiven Völkerrechtsfähigkeit von Menschen seit 1945 hat der Parlamentarische Rat in Art. 25 GG übrigens umgehend nachvollzogen: In seinem Satz 1 rezipiert Art. 25 GG die allgemeinen Regeln des Völkerrechts ins Bundesrecht. Im anschließenden Satz 2 heißt es dann: „Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebiets.“ Damit sollte der effektivitätstötende Einwand abgeschnitten werden, Völkerrecht spiele sich nur auf der zwischenstaatlichen Ebene ab und gehe Einzelmenschen nichts an. Leider hat die Rechtsprechungspraxis in Deutschland unter Zustimmung der herrschenden Literaturmeinung die Bedeutung von Art. 25 GG übermäßig eingeschränkt, was die Definition der allgemeinen Völkerrechtsregeln, ihren innerstaatlichen Rang und ihre Individualwirkung angeht.[11]

Zum heutigen Stand der aktiven und passiven Individualisierung des Völkerrechts sehen wir auf der Aktivseite einen gewaltigen Ausbau menschenrechtlicher Garantien in Gestalt subjektiver Rechte sowohl auf globaler Ebene[12] als auch in den Weltregionen, vor allem in Afrika, Amerika und Europa, aber auch in der arabischen Welt und in Südostasien (ASEAN).[13] Zwar hinkt deren effektive Durchsetzung hinterher, aber sie hat ebenfalls erhebliche Fortschritte gemacht. Die Menschenrechtsverträge binden die Vertragsstaaten weithin selbst bei der extraterritorialen Ausübung von Hoheitsgewalt.[14] Angesichts des Klimawandels denken wir inzwischen auch über unsere Pflichten in Bezug auf die Menschenrechte der zukünftigen Generationen nach.[15]

Auf der Pflichtenseite will ich drei Punkte ansprechen:

Erstens hat das Völkerstrafrecht mit dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs,[16] dem mittlerweile 125 Staaten angehören, großen Auftrieb erhalten. Auch wenn seine praktische Durchsetzung zu wünschen übrig lässt, so sind doch die Haftbefehle gegen den früheren sudanesischen Präsidenten Al-Baschir, den (inzwischen vollstreckten) gegen den früheren philippinischen Präsidenten Duterte, den russischen Präsidenten Putin und den israelischen Ministerpräsidenten Netanyahu Marksteine der Völkerrechtsentwicklung. Zu berücksichtigen ist außerdem, dass das Völkerstrafrecht in erster Linie von den nationalen Gerichten durchgesetzt werden muss, denn der IStGH ergänzt die innerstaatliche Strafgerichtsbarkeit nur.[17] Das geschieht z.B. in Deutschland, wo syrische Folterer und mordende IS-Anhänger wegen ihrer Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen oder sogar wegen Völkermordes im Nahen Osten verurteilt worden sind.[18]

Zweitens entfalten die völkerrechtlichen Menschenrechte zwar keine unmittelbare Drittwirkung, erlegen also nicht selbst Privatpersonen Pflichten auf. Dagegen spricht bereits, dass entsprechende Beschwerden an Vertragsgremien oder internationale Gerichte wegen Menschenrechtsverletzungen nur gegen die Vertragsstaaten gerichtet werden können. Anerkannt ist jedoch, dass Staaten die Menschenrechte nicht nur achten, sondern auch schützen müssen. Einige Menschenrechtsverträge verpflichten sie sogar ausdrücklich, Verletzungen durch Privatpersonen wirksam zu unterbinden.[19] Infolge der staatlichen Schutzpflicht greift die aus dem deutschen Verfassungsrecht bekannte Konstruktion einer mittelbaren Drittwirkung hier ebenso: Zur Schlichtung von Menschenrechtskonflikten zwischen Privatpersonen müssen die Staaten eine praktische Konkordanz zwischen den konfligierenden Menschenrechtspositionen herstellen, die beiden möglichst weitgehend zur Verwirklichung verhilft. Sie dürfen dazu in die eine Position nur so weit eingreifen, wie es notwendig ist, um die andere Position zu schützen, müssen aber in schwerwiegenden Fällen sogar strafrechtliche Mittel einsetzen.[20] Die Notwendigkeit solcher Konkordanzbildungen hat der Sache nach bereits die AEMR von 1948 anerkannt.[21]

Drittens ist auch im Völkerrecht längst bemerkt worden, dass Machtungleichgewichte zwischen Privatpersonen die Menschenrechte gefährden können. Einen Kristallisationspunkt der völkerrechtlichen Diskussion bildet die Menschenrechtsverantwortung von Unternehmen. Hierfür stellen die zum Soft Law gehörenden UN-Leitprinzipien für Unternehmen und Menschenrechte von 2011 ein Schlüsseldokument dar, die der UN-Menschenrechtsrat 2011 angenommen hat.[22] Seit 2014 versucht eine vom UN-Menschenrechtsrat eingesetzte Arbeitsgruppe, daraus ein rechtsverbindliches Instrument zu entwickeln.[23] Ob das gelingen wird, ist allerdings fraglich. Ein weiteres Soft-Law-Dokument spielt in diesem Zusammenhang eine Rolle: Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen zu verantwortungsvollem unternehmerischem Handeln.[24] Dieses hält die Unternehmen auch zur Achtung der Menschenrechte an. Für das Umsetzungsverfahren haben die OECD-Staaten nationale Kontaktstellen eingerichtet, in Deutschland im Bundeswirtschaftsministerium. Diese stellen auch einen außergerichtlichen Beschwerdemechanismus zur Verfügung, der auf einen Vergleich abzielt und vor allem für Nichtregierungsorganisation interessant ist.[25]

Alles in allem steht das Individuum heute im Zentrum des globalen Völkerrechts. Zwar wird die Völkerrechtsordnung weiterhin nicht in der Lage sein, alle Unmenschlichkeiten zu verhindern oder auch nur im Nachgang zu ahnden und zu kompensieren. Insoweit besteht aber bloß ein quantitativer, kein qualitativer Unterschied zum übrigen Recht, das als Menschenwerk unvollkommen bleibt.

II.        Der Mensch im Zentrum des europäischen Recht

1.         Verhältnis der Ebenen: Günstigkeitsprinzip

Im regionaleuropäischen Völkerrecht des Europarats und im supranationalen Recht der Europäischen Union hat der Mensch von Anfang die zentrale Rolle gespielt. Im Verhältnis der europäischen zur globalen wie zur nationalen Ebene des Menschenrechtsschutzes gilt der Günstigkeitsgrundsatz: Danach legt die jeweils höhere Ebene den menschenrechtlichen Mindestschutz fest, der auf der nachgeordneten Ebene zwar über-, aber nicht unterschritten werden darf.[26] Im Einklang damit ist die Position des Menschen im europäischen und deutschen Recht regelmäßig stärker ausgebaut als im globalen Völkerrecht.

2.         Recht des Europarats: EMRK und Protokolle

Als Bedingung für die Mitgliedschaft im Europarat müssen die Staaten u.a. den Grundsatz anerkennen, dass alle ihrer Hoheitsgewalt unterliegenden Personen Träger von Menschenrechten sind.[27] Dementsprechend hat der Europarat von Anfang an den Menschen in den Mittelpunkt seiner Tätigkeit gestellt. Dies belegt die große Zahl von regionalen Menschenrechtsverträgen, die er entwickelt hat. Das Pendant zum globalen IPBPR bildet die EMRK mit ihren Protokollen,[28] das Pendant zum IPWSKR die Europäische Sozialcharta mit ihren Protokollen,[29] die immer im Schatten der EMRK gestanden hat. Der Europarat hat aber auch das elementare Menschsein zum Regelungsgegenstand gemacht hat, und zwar im Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin (1997) mit seinen Zusatzprotokollen einerseits[30] und im Übereinkommen gegen den Handel mit menschlichen Organen (2015) andererseits.[31]

Die EMRK erwähnt die Menschenwürde zwar nicht ausdrücklich, doch liegt sie den einzelnen Konventionsgarantien zugrunde.[32] Ihrer Struktur nach entspricht die Konvention den globalen Menschenrechtsverträgen: Sie verbürgt subjektive Rechte, die staatsgerichtet sind und anderen Menschen unmittelbar keine Verpflichtungen auferlegen. Die Konventionsstaaten sind jedoch gem. Art. 1 EMRK zum Schutz der Konventionsrechte auch gegenüber privaten Eingriffen verpflichtet. Im Kollisionsfall müssen sie eine praktische Konkordanz zwischen den konfligierenden Rechtspositionen herstellen und in schwerwiegenden Fällen (z.B. bei Gewaltverbrechen) ihre Schutzpflicht auch mit strafrechtlichen Mitteln erfüllen. Im Übereinkommen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt ist die Kriminalisierung z.B. von sexueller Gewalt sogar ausdrücklich vorgeschrieben.[33]

Im Unterschied zur globalen Ebene verfügt die EMRK mit dem EGMR über einen echten Menschenrechtsgerichtshof, bei dem alle Opfer von Konventionsrechtsverletzungen nach erfolgloser Erschöpfung des nationalen Rechtswegs Beschwerde gegen den verantwortlichen Staat erheben können. Begründete Beschwerden führen zu einem den betr. Staat bindenden Urteil, für dessen Umsetzung das Ministerkomitee des Europarats zuständig ist. Dessen Durchsetzungsmöglichkeiten sind indessen begrenzt.[34]

Der Sache nach orientiert sich der EGMR bei Konflikten zwischen Konventionsrechten an der Konstruktion der mittelbaren Drittwirkung, wobei er den Konventionsstaaten einen Entscheidungsspielraum bei der Herstellung der praktischen Konkordanz zubilligt (margin of appreciation).[35] Interessanterweise finden sich jedoch immer wieder Entscheidungen, in denen der Gerichtshof ausdrücklich offen lässt, ob er das zu prüfende Verhalten des Konventionsstaats als Eingriff in ein Konventionsrecht oder als Nichterfüllung einer Schutzpflicht einstuft. Zur Begründung führt er jeweils an, dass sich dies nicht auf das Ergebnis auswirke.[36] In der Tat kann die praktische Konkordanz zwischen zwei kollidierenden Menschenrechten nicht davon abhängen, ob deren Träger zugleich unmittelbar an diese gebunden sind oder nur mittelbar über den zur Konkordanzbildung verpflichteten Staat.

Die Individualisierung des regionalen Völkerrechts hat der EGMR in dreierlei Weise fortentwickelt:

Erstens ist der EGMR bereit, das humanitäre Völkerrecht in seine Interpretation der Konventionsrechte einzubeziehen und damit indirekt durchzusetzen.[37] Erstmals werden damit die Opfer bewaffneter Konflikte in die Lage versetzt, ihre zivilen und humanitär-völkerrechtlichen Menschenrechte gegenüber staatlichen Konfliktparteien vor einem internationalen Gericht einzuklagen. Dabei entfaltet die EMRK sogar in erheblichem Umfang eine außereuropäische Schutzwirkung.

Zweitens hat der EGMR in Fällen, die den Klimawandel thematisieren, einen zukunftsorientierten Menschenrechtsschutz gewährt und dabei auch die UN-Klimarahmenkonvention und das Pariser Klima-Übereinkommen in die Interpretation der EMRK einbezogen. Unterstrichen hat der Gerichtshof dreierlei: die Besonderheit des Klimawandels als ein gemeinsames Problem der Menschheit; die Notwendigkeit, die Lastenteilung zwischen den Generationen zu fördern; die Beschränkung der Beschwerdebefugnis auf Nichtregierungsorganisationen. Art. 8 EMRK gewährleiste einen Anspruch der Einzelpersonen gegen die Konventionsstaaten auf effektiven Schutz gegen die gravierenden negativen Auswirkungen des Klimawandels auf ihr Leben, ihre Gesundheit, ihr Wohlbefinden und ihre Lebensqualität. Dazu müssten die Staaten die notwendigen Regeln in Kraft setzen und Maßnahmen treffen, um ihre Treibhausgasemissionen in ausreichendem Maße zu reduzieren.[38] Zugleich betonte der EGMR aber, dass die Konventionsstaaten diese Pflicht nur gegenüber den in ihrem Gebiet lebenden Menschen erfüllen müssten[39] und dass sie über einen breiten Ermessensspielraum bei der Wahl ihrer Mittel verfügten.

Drittens hat der EGMR in jüngerer Zeit mehrfach festgestellt, dass die Schweiz in Bezug auf die obligatorische Sportschiedsgerichtsbarkeit Konventionsrechte verletzt habe. Sie habe nämlich Sportler:innen bei ihren Streitigkeiten mit den mächtigen internationalen Sportverbänden vor dem in der Schweiz sitzenden Court of Arbitration for Sports ungenügenden Rechtsschutz geboten.[40] Diese Fälle thematisieren die staatliche Schutzpflicht im Hinblick auf das Machtgefälle zwischen privaten Sportverbänden und einzelnen Sportler:innen und leisten damit einen Beitrag zur Begrenzung von Verbandsmacht.

Im Ergebnis steht der würdebegabte Mensch im Zentrum des regional-europäischen Völkerrechts, und die demokratischen europäischen Staaten sind in erster Linie Instrumente der Menschen zur Gewährleistung ihres geordneten Zusammenlebens in Freiheit unter der Herrschaft des Rechts.[41]

3.         EU-Recht: Marktbürgerschaft und Unionsbürgerschaft

Die Zentralität des Menschen im EU-Recht kommt in der Präambel der GRCh zum Ausdruck, in der es heißt, die Union gründe sich auf die Würde des Menschen und stelle den Menschen in den Mittelpunkt ihres Handelns. Entsprechend gewährleistet Art. 1 GRCh die Unantastbarkeit der Menschenwürde, die zu achten und zu schützen ist, und Art. 2 EUV nennt die Achtung der Menschenwürde als ersten der Grundwerte der EU.

Schon lange bevor die Grundrechte als Bestandteile des Europarechts anerkannt waren, hatte dessen Vermenschlichung begonnen – mit dem EuGH-Urteil im Fall van Gend & Loos. In dieser Entscheidung konstruierte der EuGH die europäische Integration als gemeinsames Projekt der Mitgliedstaaten und ihrer Staatsangehörigen und erklärte auch die letzteren neben den Mitgliedstaaten zu Rechtssubjekten der neuen Gemeinschaftsrechtsordnung.[42] In einem zweiten Schritt legte der Gerichtshof dar, dass subjektive Rechte der Einzelnen nicht nur dann entstünden, wenn der Vertrag dies ausdrücklich bestimme, sondern bereits dann, wenn er den Gemeinschaftsorganen, den Mitgliedstaaten oder auch anderen Einzelnen eindeutige Verpflichtungen auferlege. Die politische Tragweite des van Gend & Loos-Urteils und sein offensichtlicher Zweck liegen darin, die Einzelnen zu ermächtigen, durch Einklagung ihrer subjektiven gemeinschaftsrechtlichen Rechte zugleich für die Einhaltung des Gemeinschaftsrechts zu sorgen und damit der EWG als Rechtsgemeinschaft zur Wirksamkeit zu verhelfen. Darauf baut die heutige Unionsbürgerschaft auf. Sie macht die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten zum zentralen Ausgangs- und Bezugspunkt der Demokratie und Rechtstaatlichkeit auf staatlicher wie unionaler Ebene.[43]

Einen eigenen Grundrechtskatalog erhielt die EU zwar mit der Charta der Grundrechte erst spät, doch hatte der EuGH schon frühzeitig ungeschriebene Grundrechte anerkannt.[44] Der Gerichtshof ließ sich dabei von den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen aller Mitgliedstaaten und der EMRK leiten, an die sie alle gebunden waren.[45] Die seit 2009 als Bestandteil des Primärrechts geltende GRCh der EU[46] führte dementsprechend keine ganz neuen Regeln ein, sondern kodifizierte nur die bereits als ungeschriebene Regeln geltenden Grundrechte.[47] Sie kodifiziert auch den traditionellen Grundsatz, dass die Unionsgrundrechte generell die EU-Organe binden, die Mitgliedstaaten hingegen nur dann, wenn sie Unionsrecht ausführen.[48]Anders als der EGMR hat der EuGH die unmittelbare Drittwirkung individueller Rechte in erheblichem Umfang anerkannt. So binden die Grundfreiheiten (abgesehen von der Warenverkehrsfreiheit[49]) direkt auch Verbände, insbesondere Sportverbände[50] und Gewerkschaften,[51] und wohl sogar Einzelunternehmen.[52] Auch einigen Grundrechten hat der EuGH schon unmittelbare Drittwirkung zuerkannt.[53] Da sowohl die Grundfreiheiten wie die Grundrechte dem Primärrecht angehören, sind sie gleichrangig und müssen im Kollisionsfall ihrerseits in Konkordanz gebracht werden.[54]

Die rechtstechnische Konstruktion bestimmt das Ergebnis aber – wie bereits gesagt – nicht vorher. Denn selbstverständlich müssen bei der unmittelbaren ebenso wie bei der mittelbaren Drittwirkung entgegenstehende Grundrechte des Unternehmens oder Verbandes zwecks Bildung einer praktischen Konkordanz berücksichtigt werden. An den Regeln zur Konkordanzbildung ändert sich übrigens auch insoweit nichts, als Mitgliedstaaten oder ihre Untergliederungen ihrerseits Träger unionsrechtlicher Rechte sind, wie dies Art. 54 AEUV für die Grundfreiheiten ausdrücklich vorsieht.[55]

Zu unserer Verpflichtung, die Grundrechte zukünftiger Generationen heute schon vor den Auswirkungen des Klimawandels zu schützen, hat der EuGH bisher jede Stellungnahme vermieden.[56] Die Präambel der GRCh weist jedoch darauf hin, dass die Ausübung der Grundrechte mit Verantwortung und Pflichten auch gegenüber künftigen Generationen verbunden ist.[57] Da überdies der von der GRCh gewährte Schutz den Mindeststandard der EMRK nicht unterschreiten darf,[58] in dem solche Schutzpflichten nach der EGMR-Rechtsprechung verankert sind, wird sich der EuGH dem früher oder später anschließen müssen.

Art. 3 Abs. 5 Satz 2 EUV verpflichtet die EU, in ihren Beziehungen zur übrigen Welt einen Beitrag u.a. zu globaler nachhaltiger Entwicklung und Solidarität, zur Beseitigung der Armut und zum Schutz der Menschenrechte zu leisten. In Art. 21 Abs. 1 EUV verspricht die EU, sie wolle u.a. den Menschenrechten und Grundfreiheiten, der Achtung der Menschenwürde und der Solidarität weltweit zu stärkerer Geltung verhelfen.[59] Vor diesem Hintergrund hat es lange gedauert, bis die EU-Lieferketten-Richtlinie endlich verabschiedet wurde.[60] Diese – von den Mitgliedstaaten noch umzusetzende – Richtlinie ist ein unionsrechtliches Beispiel der Inpflichtnahme größerer Unternehmen für den Menschenrechts-, Umwelt- und Klimaschutz in ihren globalen Wertschöpfungsketten.[61] Inzwischen hat die Wirtschaftslobby die Kommission leider dazu gebracht, eine Entschärfung dieser RL vorzuschlagen.

Die mächtigen privaten Sportverbände hat der EuGH schon vor Jahrzehnten unmittelbar den Grundfreiheiten des Binnenmarkts, insbesondere der Arbeitnehmerfreizügigkeit, unterworfen.[62] Diese Rechtsprechung hat er jüngst erneut bestätigt.[63] In einem noch anhängigen Fall hat die Generalanwältin in ihren Schlussanträgen vom letzten Monat aus Art. 19 Abs. 1 EUV i.V.m. Art. 267 AEUV und Art. 47 GRCh abgeleitet, „dass Sportakteuren[64] der Union, die dem Streitbeilegungssystem der FIFA unterliegen, ein direkter Rechtsweg zu einem nationalen Gericht und eine umfassende Kontrolle aller Vorschriften des Unionsrechts durch dieses Gericht zugänglich sein müssen, und zwar ungeachtet eines endgültigen Schiedsspruchs des CAS.“[65] Das bedeutet, dass die Möglichkeit der Überprüfung eines CAS-Schiedsspruchs durch das Schweizerische Bundesgericht, das ja keine Vorabentscheidung des EuGH einholen kann, um die Unionsrechtskonformität zu gewährleisten, nicht genügt. Es bleibt abzuwarten, ob der EuGH dies ähnlich sieht und die Mitgliedstaaten dazu veranlasst, ihren Gerichten die volle Kontrolle über die Unionsrechtskonformität von FIFA-Entscheidungen zu übertragen. Das käme einem Ende der selbstständigen Sportschiedsgerichtsbarkeit gleich.

Im Ergebnis steht der würdebegabte Mensch seit jeher auch im Zentrum des EU-Rechts. Er trägt das europäische Integrationsprojekt zugleich unmittelbar als Unionsbürger:in und mittelbar über denjenigen Mitgliedstaat, dem er/sie als Staatsbürger:in angehört. Die Mitgliedstaaten sind aus EU-Sicht selbstständige Organisationseinheiten einer Vielzahl von Unionsbürger:innen gleicher Staatsangehörigkeit zur Durchsetzung ihrer Interessen. Dies geschieht im nationalen Kompetenzbereich durch jeden Mitgliedstaat allein in unionsverträglicher Weise,[66] im Kompetenzbereich der EU hingegen durch alle gemeinsam. Wie ihr jeweiliger Mitgliedstaat, so ist auch die EU für die Unionsbürger:innen ein Instrument, um ihre Freiheit, ihre Sicherheit und ihr Wohlergehen zu fördern.[67]

III.      Der Mensch im Zentrum des GG

Die nationalsozialistische Ideologie eines „Du bist nichts, Dein Volk ist alles!“ verwarf der Herrenchiemseer GG-Entwurf mit der klaren Aussage in Art. 1 Abs. 1: „Der Staat ist um des Menschen willen da, nicht der Mensch um des Staates willen“. Erst in Art. 1 Abs. 2 sollte die Würde der menschlichen Persönlichkeit für unantastbar erklärt und die öffentliche Gewalt in allen ihren Erscheinungsformen verpflichtet werden, diese zu achten und zu schützen.[68]

Das GG hat nur die Menschenwürdegarantie als solche übernommen. In ihrer Achtungs- und Schutzkomponente bildet sie die Zentralnorm der deutschen Nachkriegsverfassung. Um der Menschenwürde willen bekennt sich das Deutsche Volk in Art. 1 Abs. 2 GG zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten im internationalen Bereich. Art. 1 Abs. 3 GG macht deutlich, dass zwar die Staatsgewalt, nicht aber Private unmittelbar an die Grundrechte des GG gebunden sind.

Im Hinblick darauf hat das BVerfG eine staatliche Schutzpflicht für die Grundrechte anerkannt, die zu deren mittelbarer Drittwirkung führt:[69] Im Konfliktfall haben die staatlichen Gerichte bei der Anwendung ihres jeweiligen Fachrechts eine praktische Konkordanz herzustellen, bei der sie insbesondere auch das Machtgefälle zwischen den Parteien berücksichtigen müssen.[70] Der Staat muss die Macht privater Verbände, Gesellschaften und Unternehmen zum Schutz der Grundrechte der Allgemeinheit unter Kontrolle halten, ohne deren eigene Grundrechte zu missachten. Das BVerfG hat hierzu ausgeführt: „Je nach Gewährleistungsinhalt und Fallgestaltung kann die mittelbare Grundrechtsbindung Privater einer Grundrechtsbindung des Staates nahe- oder auch gleichkommen.“[71] Das sei insbesondere dann der Fall, wenn private Unternehmen der Sache nach in staatliche Funktionen einträten, so z.B. als Betreiber privater Einkaufszentren die Rahmenbedingungen öffentlicher Kommunikation selbst übernähmen.

Das BVerfG hat die extraterritoriale Wirkung der GG-Grundrechte sowohl in ihrer Eingriffsabwehr- wie in ihrer Schutzpflichtdimension in weitem Umfang anerkannt, auch in Bezug auf den Auslandseinsatz deutscher Streitkräfte. Inwieweit solche Schutzpflichten sich auf US-Militärschläge im Jemen mit Anknüpfung an das deutsche Territorium (Ramstein Air Base) erstrecken, wird das Gericht demnächst entscheiden.[72]

Unter Bezugnahme auf Art. 1 Abs. 2 GG räumt das BVerfG insbesondere der EMRK in ihrer Auslegung durch den EGMR schon seit langem eine besondere Bedeutung bei der Interpretation der GG-Grundrechte ein.[73] So hat es sich etwa an der EGMR-Rechtsprechung orientiert, um eine grundrechtliche Pflicht zur Strafverfolgung bei Gewaltverbrechen zu bejahen.[74] Inzwischen hat es auch die EU-Grundrechte rezipiert und wendet sie anstelle der GG-Grundrechte in allen Fällen an, die vom EU-Recht vollständig determiniert werden, und zwar in Kooperation mit dem EuGH gem. Art. 267 Abs. 3 AEUV[75]. Ggf. müsste das BVerfG dann auch deren vom EuGH festgestellte unmittelbare Drittwirkung akzeptieren.

Mit präventiven grundrechtlichen Schutzpflichten befasste sich das BVerfG eingehender im Verfahren gegen das Bundes-Klimaschutzgesetz. Es entschied: „Der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG schließt den Schutz vor Beeinträchtigungen grundrechtlicher Schutzgüter durch Umweltbelastungen ein, gleich von wem und durch welche Umstände sie drohen. Die aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgende Schutzpflicht des Staates umfasst auch die Verpflichtung, Leben und Gesundheit vor den Gefahren des Klimawandels zu schützen. Sie kann eine objektivrechtliche Schutzverpflichtung auch in Bezug auf künftige Generationen begründen.“[76] In modifizierter Weise erstreckt sich diese Schutzpflicht auch auf im Ausland lebende Menschen. Der deutsche Staat sei „verpflichtet, im Rahmen internationaler Abstimmung auf Klimaschutz hinzuwirken“ und „kann sich seiner Verantwortung nicht durch den Hinweis auf die Treibhausgasemissionen in anderen Staaten entziehen.“[77]

Nach alledem ist die Aussage in Art. 1 Abs. 1 des Herrenchiemseer GG-Entwurfs zwar nicht ausdrücklich in die geltende Verfassungsordnung übernommen worden, der Sache nach aber der Staat des GG stets um des Menschen willen dagewesen, und nicht umgekehrt. Durch seine Einbindung in die Völker- und Unionsrechtsordnung hat sich der deutsche Staat seit 1949 zum Schutz der Menschenwürde und der darauf beruhenden Menschenrechte seiner Bürger:innen, aber auch seiner Nachbarn, selbst zusätzliche rechtliche Fesseln angelegt, um sein erneutes Abgleiten in die Barbarei zu verhindern.

IV.      Endet das Anthropozän im Recht?

Nach alledem hat der Mensch sich inzwischen auf allen Ebenen als Krone des Rechts etabliert. Aber kaum ist das Anthropozän im Recht angebrochen, finden sich Hinweise auf ein mögliches Ende der menschlichen Alleinherrschaft: Einerseits werden Rechte der Tiere und der Natur propagiert, weil der Mensch in übertriebener, ja geradezu selbstmörderischer Weise versucht hat, sich die Erde untertan zu machen. Andererseits stellt sich die Frage, ob Künstliche Intelligenz als Schöpfung des Menschen eigene Rechte beanspruchen kann. Wenngleich die Tiere, die Natur und die Künstliche Intelligenz den Mensch nie völlig entthronen werden, so könnten sie doch bald zumindest einige der Menschenrechte legitimerweise auch für sich beanspruchen.

Denn es mehren sich die Anzeichen dafür, dass die Trennmauer zwischen Mensch und Tier poröser ist als angenommen. Wenn es aber keinen kategorialen Unterschied zwischen Menschen und jedenfalls den Tieren höherer Ordnung gibt, dann entfällt auch der Grund dafür, diese Tiere rechtlos zu stellen. Haben sie nicht auch eine eigene Würde, die mit der Menschenwürde in eine praktische Konkordanz gebracht werden muss, selbst wenn sie nicht auf derselben Stufe steht?[78] Was die Natur angeht, stellt sich eine etwas andere Frage: Müssen wir ihr eigene einklagbare Rechte zuerkennen, die von menschlichen Sachwaltern geltend gemacht werden können, weil ein wirksamer Natur- und Umweltschutz nur so zu gewährleisten ist?[79] Müssen wir die Effektivität unserer eigenen rechtlichen Fesseln verbessern, um uns an der Selbstzerstörung zu hindern?

Die KI sehen wir bisher vor allem als Hilfsmittel zur schnelleren und besseren Verwirklichung menschlicher Ziele an, das wegen der ihm innewohnenden Gefahren reguliert werden muss.[80] Je ähnlicher aber die selbstlernende KI dem Menschen wird, desto drängender stellt sich die Frage, ob auch sie Menschenrechte und gar Menschenwürde beanspruchen kann.

Sollten wir irgendwann erkennen, dass Tiere und KI Würde haben können, dann müssen wir ihnen wohl oder übel einen Platz auf dem menschlichen Thron einräumen, auf dem wir selbst nur kraft unserer Würde sitzen. Anders als bei den Tieren wird es aber bei der KI auch darum gehen sicherzustellen, dass sie uns Menschen nicht überflügelt und wir dann wie Zauberlehrlinge unter ihre Herrschaft geraten, aus der uns kein alter Hexenmeister mehr heraushelfen kann.


*Univ.-Prof. Dr. iur. Thomas Giegerich, LL.M. (Univ. of Virginia) ist Direktor des Europa-Instituts und Inhaber des Lehrstuhls für Europarecht, Völkerrecht und Öffentliches Recht an der Universität des Saarlandes. Er leitet den Wissenschaftsblog Jean Monnet Saar.

[1] Thomas Giegerich, 75 Jahre Internationale Menschenrechtsrevolution: Von der UN-Charta zur EU-Sanktionsregelung im Bereich Menschenrechte, Saar Expert Paper 12/20 (https://jean-monnet-saar.eu/wp-content/uploads/2020/12/Giegerich_75-Jahre-Internationale-Menschnerechtsrevolution.pdf [13.3.2025]).

[2] Vgl. Christian Tomuschat, International Law: Ensuring the Survival of Mankind on the Eve of a New Century, 1999, S. 162.

[3] Vgl. Hersch Lauterpacht, An International Bill of the Rights of Man, 1945 (Neupublikation 2013), S. 47.

[4] Vgl. die Charta des Internationalen Militärtribunals (von Nürnberg) als Bestandteil des Regierungsabkommens vom 8.8.1945 zwischen dem Vereinigten Königreich, den USA, Frankreich und der Sowjetunion (https://www.un.org/en/genocideprevention/documents/atrocity-crimes/Doc.2_Charter%20of%20IMT%201945.pdf [20.3.2025]).

[5] Robert H. Jackson, Opening Statement before the International Military Tribunal Nuremberg, 21.11.1945 (https://www.roberthjackson.org/speech-and-writing/opening-statement-before-the-international-military-tribunal/ [13.3.2025]): „This principle of personal liability is a necessary as well as logical one if international law is to render real help to the maintenance of peace. An international law which operates only on states can be enforced only by war because the most practicable method of coercing a state is warfare. … Only sanctions which reach individuals can peacefully and effectively be enforced.“

[6] Vgl. International Military Tribunal (Nuremberg), Judgment of 1 October 1946, p. 52 ff. (https://www.legal-tools.org/doc/45f18e/pdf/  [21.3.2025]): “To assert that it is unjust to punish those who in defiance of treaties and assurances have attacked neighbouring States without warning is obviously untrue, for in such circumstances the attacker must know that he is doing wrong, and so far from it being unjust to punish him, it would be unjust if his wrong were allowed to go unpunished.“

[7] Ebenso Art. 15 IPBPR. Art. 11 AEMR erwähnt nur die Strafbarkeit nach nationalem oder internationalem Recht.

[8] BGBl. 1954 II S. 14.

[9] BGBl. 2003 II S. 1580.

[10] BVerfGE 95, 96 (133) – Mauerschützen. Ähnlich EGMR (GK), Urt. v. 22.3.2001, Streletz, Kessler and Krenz v. Germany (Appl. Nos. 34044/96, 35532/97 and 44801/98).

[11] Vgl. Matthias Herdegen, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG-Kommentar, Art. 25 Rn. 34, 88 f., 95 ff.

[12] Dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Recht vom 16.12.1966 (BGBl. 1973 II S. 1534) gehören heute immerhin 174 Staaten an, von denen 116 auch das Fakultativprotokoll vom 16.12.1966 über das Individualbeschwerdeverfahren (BGBl. 1992 II S. 1247) ratifiziert haben. Der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 16.12.1966 (BGBl. 1973 II S. 1570) hat 173 Parteien, sein Fakultativprotokoll vom 10.12.2008 über Individualbeschwerden (BGBl. 2023 II Nr. 4) jedoch bisher nur 30.

[13] Vgl. die bei Michael Lysander Fremuth, Menschenrechte, 2019, S. 497 ff., und Europa-Institut of Saarland University (ed.), International Human Rights Law – Selected Documents, 3rd ed. 2024, S. 379 ff., abgedruckten regionalen Menschenrechtsverträge.

[14] Thomas Giegerich, Extraterritoriale Schutzwirkung von Grund- und Menschenrechten im globalen Mehrebenensystem: Kongruenz und Kohärenz für die International Rule of Law, EuGRZ 50 (2023), S. 17 ff.

[15] Thomas Giegerich/Julia Jungfleisch, Klimaschutz durch nationale und internationale Gerichtsverfahren – Strategische Prozessführung im Gemeininteresse der Menschheit, Saar Expert Paper 02/2024 (https://jean-monnet-saar.eu/wp-content/uploads/2024/01/Expert-Paper-Klimaschutz-durch-nationale-und-internationale-Gerichtsverfahren-%E2%80%93-Strategische-Prozessfuehrung-im-Gemeininteresse-der-Menschheit.pdf [13.3.2025]).

[16] Vom 17.7.1998 (aktualisierte Fassung in Sartorius II: Internationale Verträge – Europarecht [Stand 1.10.2024], Nr. 35).

[17] Vgl. Absatz 10 der Präambel, Art. 1, 17 Röm. Statut.

[18] Mit Urt. v. 13.1.2022 hat das OLG Koblenz (1 StE 9/19) einen mutmaßlichen Mitarbeiter des syrischen Geheimdienstes wegen der Folter von ca. 4000 Menschen in Syrien als Mittäter wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit in Tateinheit mit Mord usw. zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Vgl. dazu https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/olg-koblenz-1ste919-reaktionen-urteil-staatsfolter-syrien-politik-menschenrechtsorganisationen-opfer (13.3.2025). Der BGH hat das Urteil durch Beschluss vom 20.3.2024 (3 StR 454/22) bestätigt (https://www.bundesgerichtshof.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2024/2024158.html [13.3.2025]). Der BGH hat durch Beschl. v. 30.11.2022 (3 StR 230/22) auch die Verurteilung eines Angeklagten wegen Völkermordes gem. § 6 VStGB wegen schwerer Misshandlungen zweier Jesidinnen im Irak bestätigt, wobei eine von ihnen zu Tode kam (Lena Herzog, The Yazidi Genocide Before the German Federal Court of Justice, German Yearbook of International Law 66 [2023], 355 ff.).

[19] Art. 2 Abs. 1 Buchst. d, Art. 5 Buchst. e, f des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung vom 7.3.1966 (BGBl. 1969 II S. 962); Art. 2 Buchst. e, 11, 13 des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau vom 18.12.1979 (BGBl. 1985 II S. 648).

[20] Vgl. den Sarrazin-Fall gegen Deutschland von 2013 vor dem Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung (https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/menschenrechtsschutz/datenbanken/rechtsprechungsdatenbank-ius-menschenrechte/detail/mitteilung-nr-482010 [13.3.2025]).

[21] Art. 29 AEMR.

[22] https://www.ohchr.org/Documents/Publications/GuidingPrinciplesBusinessHR_EN.pdf (14.3.2025).

[23] Der neueste Entwurf vom Juli 2023 ist abrufbar unter https://www.ohchr.org/sites/default/files/documents/hrbodies/hrcouncil/igwg-transcorp/session9/igwg-9th-updated-draft-lbi-clean.pdf (14.3.2025). Vgl. dazu Markus Krajewski/Stephanie Regalia/Otgontuya Davaanyam, Analysis of the UN Binding Treaty Updated Draft, Oct. 19, 2023 (https://www.cidse.org/2023/10/19/analysis-of-the-un-binding-treaty-updated-draft/ (14.3.2025).

[24] https://www.oecd.org/content/dam/oecd/de/publications/reports/2023/06/oecd-guidelines-for-multinational-enterprises-on-responsible-business-conduct_a0b49990/abd4d37b-de.pdf (14.3.2025).

[25] Ziff. 11 des Verfahrensleitfadens vom 1.1.2024 der deutschen Nationalen Kontaktstelle (https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Downloads/V/verfahrensleitfaden-deu-nks-010124.pdf?__blob=publicationFile&v=4 [14.3.2025]).

[26] Art. 5 Abs. 2 IPBPR; Art. 5 Abs. 2 IPWSKR; Art. 53 EMRK; Art. 52 Abs. 3, Art. 53 GRC.

[27] Art. 3 der Satzung des Europarats vom 5.5.1949 (Sartorius II Nr. 110).

[28] Sartorius II Nr. 130 ff. Dort nicht abgedruckt sind die Protokolle Nr. 7 v. 22.11.1984 (ETS No. 117), Nr. 12 v. 4.11.2000 (ETS No. 177) und Nr. 16 v. 2.10.2013 (CETS No. 214), die Deutschland nicht ratifiziert hat.

[29] Revidierte Fassung im Sartorius II Nr. 115. Das Zusatzprotokoll v. 9.11.1995 über Kollektivbeschwerden (ETS No. 158) hat Deutschland nicht ratifiziert.

[30] Europa-Institut of Saarland University (ed.), International Human Rights Law – Selected Documents, 3rd ed. 2024, S. 511 ff.

[31] Id., S. 677 ff.

[32] Vgl. EGMR, Urt. v. 11.7.2002, Goodwin v. UK (No. 28957/95), Abschn. 90.

[33] Vom 11.5.2011 (CETS No. 210). Vgl. dort Art. 36.

[34] Art. 46 EMRK. In Extremfällen besteht auch die Möglichkeit eines Ausschlusses aus dem Europarat gem. Art. 8 i. V. m. Art. 3 der Satzung.

[35] Vgl. die durch das Protokoll Nr. 15 v. 24.6.2013 (CETS Nr. 213) eingefügte letzte Erwägung der EMRK-Präambel.

[36] Vgl. z.B. EGMR, Urt. v. 21.2.1990, Powell and Rayner v. UK (Appl. No. ), Abschn. 41; EGMR (GK), Urt. v. 8.7.2003, Hatton and Others v. UK (Appl. No. 36022/97), Abschn. 98.

[37] Vgl. insbesondere EGMR (GK), Urt. v. 16.9.2014, Hassan v. UK (Appl. No. 29750/09).

[38] EGMR (GK), Urt. v. 9.4.2024, Verein KlimaSeniorinnen and Others v. Switzerland (Appl. No. 53600/20).

[39] EGMR (GK), Urt. v. 9.4.2024, Duarte Agostinho and Others v. Portugal and 32 further Convention States (Appl. No. 39371/20).

[40] EGMR, Urt. v. 2.10.2018, Mutu and Pechstein v. Switzerland (Appl. Nos. 40575/10 und 67474/10); Urt. v. 11.7.2023, Semenya v. Switzerland (Appl. No. 10934/21) – nicht rechtskräftig (Verfahren derzeit vor der GK anhängig). Vgl. auch EGMR, Urt. v. 28.1.2020. Ali Riza and Others v. Turkey (Appl. Nos. 30226/10 etc.) zur nationalen Sportschiedsgerichtsbarkeit in der Türkei.

[41] Vgl. 3. Erwägung der Präambel der Satzung des Europarats.

[42] EuGH, Urt. v. 5.2.1963 (Rs. 26/62), Slg. 1963, S. 3 (25).

[43] Art. 9, 10 EUV; Art. 20 ff. AEUV.

[44] EuGH, Urt. v. 12.11.1969 (Rs. 29/69 – Stauder), Slg. 1969, 419.

[45] EuGH, Urt. v. 14.5.1974 (Rs. 4/73 – Nold) Slg. 1974, 491 Rn. 12 ff. Diese Rechtsprechung ist nunmehr in Art. 6 Abs. 3 EUV kodifiziert worden.

[46] Vgl. Art. 6 Abs. 1 EUV.

[47] Vgl. die 4. und 5. Erwägung der Präambel der GRC.

[48] Art. 51 Abs. 1 GRC.

[49] Vgl. Stefanie Schmahl/Florian Jung, Horizontale Direktwirkung der Warenverkehrsfreiheit?, NVwZ 2013, 607 ff.

[50] S.u. Fußn. 62.

[51] EuGH, Urt. v. 18.12.2007 (Rs. C-341/05 – Laval un Partneri Ltd), Slg. 2007, I-11767, Rn, 98 ff.

[52] EuGH, Urt. v. 6.6.2000 (Rs. C-281/98 – Angonese) Slg. 2000, I-4139.

[53] EuGH, Urt. v. 15.1.2014 (Rs. C-176/12 – AMS), ECLI:EU:C:2014:2 (verneint für Art. 27 GRCh); Urt. v. 19.4.2016 (C-441/14 – Dansk Industri), ECLI:EU:C:2016:278 (bejaht für Art. 21 Abs. 1 GRCh – Verbot der Diskriminierung wegen des Alters); Urt. v. 17.4.2018 (Rs. C-414/16 – Egenberger), ECLI:EU:C:2018:257 (bejaht für Art. 21 Abs. 1 GRCh – Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Religion oder Weltanschauung); Urt. v. 6.11.2018 (verb. Rs. C-569/16 und C-570/16), ECLI:EU:C:2018: (bejaht für Art. 31 Abs. 2 GRCh); Urt. v. 22.1.2019 (Rs. C-193/17 – Cresco Investigation GmbH), ECLI:EU:C:2019:43 (bejaht für Art. 21 Abs. 1 GRCh – Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Religion oder Weltanschauung); Urt. v. 20.2.2024 (Rs. C-715/20 – K.L.), ECLI:EU:C:2024:139 (bejaht für Art. 47 GRCh – Recht auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten [wohl i.S. einer mittelbaren Drittwirkung]).

[54] Vgl. z.B. EuGH, Urt. v. 12.6.2003 (Rs. C-112/00 – Schmidberger), Slg. 2003, I-5659; Urt. v. 18.12.2007 (Rs. C-341/05 – Laval un Partneri Ltd), Slg. 2007, I-11767.

[55] Vgl. hierzu BVerfGE 143, 246 zur niederlassungsfreiheitskonformen Interpretation von Art. 19 Abs. 3 GG in dem Sinne, dass eine inländische Gesellschaft, die vollständig in der Hand des schwedischen Staates war, als Trägerin des Eigentumsgrundrechts Verfassungsbeschwerde erheben konnte.

[56] EuGH, Urt. v. 25.3.2021 (Rs. C-565/19 P – Armando Carvalho), ECLI:EU:C:2021:252.

[57] Vorletzte Erwägung.

[58] Art. 52 Abs. 3 GRC.

[59] Zum rechtlichen Gehalt dieser Versprechen vgl. Thomas Giegerich, Supply Chains Responsibilities in the „Democratic and Equitable International Order“ – the Task for the European Union and Its Member States, ZEuS 25 (2022), 213 ff.

[60] Richtlinie (EU) 2024/1760 vom 13.6.2024 über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit usw., ABl. L 2024/1760 vom 5.7.2024.

[61] Überblick bei Rainer Palmstorfer/Isabel Staudinger, Die EU-Lieferketten-Richtlinie – Der Binnenmarkt im Einsatz für eine bessere Welt, EuZW 2024, 637 ff.

[62] Vgl. EuGH, Urt. v. 12.12.1974 (Rs. 36/74 – Walrave und Koch), Slg. 1974, 1405 ff.; Urt. 15.12.1995 (Rs. C-415/93 – Bosman), Slg. 1994, I-4921.

[63] EuGH, Urt. v. 4.10.2024 (Rs. C-650/22 – FIFA), ECLI:EU:C:2024:824.

[64] Dieser Begriff umfasst einzelne Sportler und Sportvereine (Fußnote ergänzt).

[65] Schlussanträge v. 16.1.2025 in der Rs. C-600/23 – Royal Football Club Seraing, ECLI:EU:C:2025:24. Das Zitat entstammt der Pressemitteilung Nr. 6/25 des EuGH vom 16.1.2025. Vgl. die Kritik von Antoine Duval, How the CJEU Should Supervise the Court of Arbitration for Sport, Verfassungsblog, 18.2.2025, der sich für eine Erhaltung der Sportschiedsgerichtsbarkeit in reformierter Form ausspricht.

[66] Art. 4 Abs. 3 EUV.

[67] Vgl. Art. 3 Abs. 1 EUV.

[68] Verfassungsausschuss der Ministerpräsidenten-Konferenz der westlichen Besatzungszonen, Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vom 10. bis 23 August 1948 (https://epub.ub.uni-muenchen.de/21036/1/4Polit.3455.pdf [17.3.2025]).

[69] Vgl. den Überblick von Bettina Limperg/Bernward Wollenschläger, Die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte – Eine Erfolgsgeschichte, DVBl. 2024, 929 ff.

[70] Uwe Volkmann, Allgemeine Grundrechtslehren, in: Matthias Herdegen/Johannes Masing/Ralf Poscher/Klaus Ferdinand Gärditz (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 2021, § 16 Rn. 33. Vgl. z.B. BVerfG, Beschluss v. 11.4.2018 (1 BvR 3080/09) – Stadionverbot.

[71] BVerfG (K), Beschl. v. 18.7.2015 (1 BvQ 25/15), NJW 2015, 1485 Rn. 6 – Bierdosen-Flashmob.

[72] Eine Verfassungsbeschwerde ist anhängig unter dem Az. 2 BvR 508/21.

[73] BVerfG, Beschl. v. 14.10.2014 (2 BvR 1481/04), BVerfGE 111, 307; Urt. v. 4.5.2011 (2 BvR 2365/09 u.a.), BVerfGE 128, 326; Urt. v. 12.6.2018 (2 BvR 1738/12 u.a.), BVerfGE 148, 196; Urt. v. 23.1.2024 (2 BvB 1/19), BVerfGE 168, 193.

[74] Vgl. z.B. BVerfG (K), Beschl. v. 6.10.2014 (2 BvR 1568/12).

[75] BVerfG, Beschl. v. 6.11.2019 (1 BvR 16/13), BVerfGE 152, 152; Beschl. v. 6.11.2019 (1 BvR 276/17), BVerfGE 152, 216.

[76] Leitsatz 1.

[77] Leitsatz 2.c).

[78] Vgl. nur Heike Baranzke, Würde der Kreatur? (2002); Cass R. Sunstein/Martha C. Nussbaum (eds.), Animal Rights (2004); Karsten Brensing, Persönlichkeitsrechte für Tiere (2013).

[79] Vgl. Max Kolter/Franziska Kring, Landgericht Erfurt erkennt erneut Rechte der Natur an, Legal Tribune Online, 23.10.2024 (https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/lg-erfurt-8o83622-rechte-der-natur-zweites-urteil [14.3.2025]).

[80] Vgl. insbesondere Council of Europe Framework Convention on Artificial Intelligence and Human Rights, Democracy and the Rule of Law vom 5.9.2024 (CETS No. 225) – noch nicht in Kraft; Verordnung (EU) 2024/1689 v. 13.6.2024 zur Festlegung harmonisierter Vorschriften für künstliche Intelligenz etc. (ABl. L 2024/1689 v. 12.7.2024).


ZitiervorschlagGiegerich, Thomas, Der Mensch als „Maß aller Dinge“ im Völkerrecht, Europarecht und Grundgesetz, jean-monnet-saar 2025.

DOI: 10.17176/20250326-112759-0

Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) – Projektnummer: 525576645

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